Es hat sich am Silvesterabend zugetragen, dass ein Freund des Hauses nicht nur ein edles Tröpflein, sondern auch einen wunderschönen Versprecher mitbrachte: „Empörkommling“ sagte er. Und hier muss man gar nicht Freud bemühen, sondern diese ideale Beschreibung einfach in den Duden aufnehmen und zwar für eine Spezies Kulturschaffender, die es in den letzten Jahren geschafft hat, vor allem durch die etwas erkenntnisarme Empörung im Internet, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Dem Publikum emotionsgeladen sagen, was dieses eh schon fühlt, so verkaufte man Bücher, Bilder und Bands. Ein bisschen gegens Patriarchat koddern, um endlich am großen Tisch Platz nehmen zu dürfen. Kapitalismus ablehnen, um in die nächste Steuerklasse zu rutschen. Das Judentum definieren, anderen das Jüdischsein absprechen. Die Befreiung der Palästinenser fordern, weil man sich ja auch irgendwie unterdrückt fühlt. Sich eben auf der richtigen Seite positionieren. Wenig fragen. Viel meinen. Immer die eigene Identität stark aufgepuffert im Rücken.

Fair enough, möchte man sagen, als Mensch, der meint und fühlt. Doch als Kolumnistin ist man gefordert, mit Thesen um Aufmerksamkeit zu betteln. Deswegen folgende Behauptung: 2024 wird das Jahr, in dem der Empörkommling (was wäre die weibliche Form?) endlich die Klappe halten muss. Weniger klebrige Selbstzufriedenheit, weniger minderintellektuelle hot takes!

Nun gibt es allerdings ein Problem. Dass Menschen überlegter und weniger empört Meinung rausposaunen, könnte 2024 vielleicht aus den falschen Gründen geschehen. Der Berliner Kultursenator Joe Chialo hat gerade entschieden, dass Zuwendungen für Kultureinrichtungen demnächst mit einer Bedingung versehen werden: der sogenannten Antidiskriminierungsklausel. Wer Geld will, soll unterschreiben, dass er niemanden diskriminiert. In den Förderrichtlinien soll ein entsprechender Passus (leider noch nicht zu lesen) und eine Selbsterklärung eingefügt werden.

„Alle potentiellen Empfänger von Fördergeldern sollen sich damit zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung bekennen“, heißt es auf tagesschau.de, und da wird es dann kompliziert, weil die Bundesregierung eben den Staat Israel mit in ihre Definition aufgenommen hat. Aber gehört dazu auch schon Kritik an der Politik des Staates Israel?

„Kunst ist frei! Aber nicht regellos“, wird der Berliner Kultursenator zitiert und natürlich besorgt vor allem dieses Ausrufezeichen, denn es macht die Aussage so seltsam unglaubwürdig.

Nun ist das in Zeiten, in denen Menschen „Antisemitismus“ rufen, wenn jemand Krieg kritisiert, etwas tricky. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Ausstellung über – sagen wir – den pädagogischen Mehrwert der Augsburger Puppenkiste im nächstgelegenen Stadtteilzentrum organisieren, beantragen Fördermittel, unterschreiben, dass sie keine Antisemitin sind und posten in den nächsten Wochen ein Share-pic zu 5.000 toten Kindern in Gaza, dann kann es jemand geben, der sagt: Das sind aber Zahlen der Hamas, Sie sind Antisemitin. Und dann haben wir den Salat. Und Sie keine Förderung mehr.

Entschuldigen Sie dieses hot-takige Gefühl – aber es macht mir Bauchschmerzen. Der ganze Kunstbetrieb müsse ent-hamasizifiert werden, schrieb kürzlich eine Autorin. In Zeitungen und auf Twitter konnte man nachlesen, welche Bands, welche DJs, welche Clubs mutmaßlich den BDS unterstützen. Könnte also recht ruhig werden demnächst. Natürlich sind wir hier aber alle gegen Diskriminierung und vor allem auch gegen Antisemitismus – zumindest bis das alles von der AfD definiert wird, wenn sie demnächst Wahlen gewinnt, oder?

QOSHE - Kunsttagebuch | Wenig fragen. Viel meinen: Was hilft gegen Empörkommlinge? - Laura Ewert
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Kunsttagebuch | Wenig fragen. Viel meinen: Was hilft gegen Empörkommlinge?

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05.01.2024

Es hat sich am Silvesterabend zugetragen, dass ein Freund des Hauses nicht nur ein edles Tröpflein, sondern auch einen wunderschönen Versprecher mitbrachte: „Empörkommling“ sagte er. Und hier muss man gar nicht Freud bemühen, sondern diese ideale Beschreibung einfach in den Duden aufnehmen und zwar für eine Spezies Kulturschaffender, die es in den letzten Jahren geschafft hat, vor allem durch die etwas erkenntnisarme Empörung im Internet, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Dem Publikum emotionsgeladen sagen, was dieses eh schon fühlt, so verkaufte man Bücher, Bilder und Bands. Ein bisschen gegens Patriarchat koddern, um endlich am großen Tisch Platz nehmen zu dürfen. Kapitalismus ablehnen, um in die nächste Steuerklasse zu rutschen. Das Judentum definieren, anderen das Jüdischsein absprechen. Die Befreiung der Palästinenser fordern, weil man sich ja auch irgendwie unterdrückt fühlt. Sich eben auf der richtigen Seite positionieren.........

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