Wir treffen uns zu einem digitalen Gespräch und sind um 14.15 Uhr verabredet, nach Momos Frühschicht. Um 14.14 Uhr schreibt die Busfahrerin, dass es 14.20 Uhr wird. „Ich hab eben die Bahn verpasst“, erklärt sie.

der Freitag: Du kommst gerade von deiner Arbeit. Wann fing dein Arbeitstag an?

Momo: Ich habe heute Morgen um fünf Uhr angefangen. Mein Wecker hat um halb vier geklingelt.

Geht das gut für dich, kannst du gut früh aufstehen?

Tatsächlich war das heute ein spätes Anfangen für mich.

Wann fängst du sonst an?

Ich habe immer eine Woche Muttidienste, wenn meine Kinder bei mir sind. Die andere Woche, wenn meine Kinder bei ihrem Papa sind, habe ich meistens Frühdienste. Gestern zum Beispiel habe ich um 2.48 Uhr angefangen.

Uff, wann gehst du ins Bett, wenn Du um 2.48 Uhr anfängst?

Ich war um 19 Uhr im Bett, aber ich hatte am Wochenende frei. Und nach einem freien Wochenende kann ich nie schlafen. Das ist quälend.

Könntest du auch nur Spät- oder nur Frühdienste machen?

Ja, das würde auch gehen. Aber ich arbeite auch gern früh, weil da weniger Verkehr ist. Der Freizeitverkehr ist ziemlich anstrengend.

Freizeitverkehr ist der nachmittags und abends?

Genau. Der wird auch immer aggressiver. Ich arbeite jetzt seit sechs Jahren als Busfahrerin und das hat sich schon echt verändert.

Inwiefern?

Autofahrer nehmen einem oft die Vorfahrt oder brettern noch über eine rote Ampel. Das hat definitiv zugenommen.

In dieser Serie spreche ich über neue Maloche, es gibt aber auch den Begriff New Work. Was sagt der dir?

So ein bisschen mehr Work-Life-Balance und dass der Trend dahin geht, dass nicht so viele Stunden gearbeitet wird. Wobei ich manchmal denke: New Work bedeutet vielleicht auch, dass man als Arbeitnehmerin immer mehr ausgequetscht wird. Das ist jedenfalls das, was ich in der Realität sehe.

Wie bist du Busfahrerin geworden?

Nach einer Ausbildung als Zahntechnikerin habe ich mich mit verschiedenen Jobs durchs Leben geschlagen. Als ich eine Familie gegründet habe, musste was Solides her. Ich war dann 40, als ich mich beworben habe, meine Kinder waren drei und fünf. Die LVB, mein Arbeitgeber, waren der einzige Arbeitgeber, der mir eine Chance gegeben hat. Mein Lebenslauf hat einige Lücken, plus zwei Kinder, da ist man weg vom Fenster.

Und ist das jetzt der Job für immer? Also bis zur Rente?

Ich kann mir das generell schon vorstellen. Auch, weil ich meinen Job sinnhaft finde. Ich mache meinen Job auch aus idealistischen Gründen. Mir war wichtig, meinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, womit ich mich für die Gesellschaft einbringe. Und ich wollte den Planeten auch nicht weiter kaputtmachen. Plus geregelte Arbeitszeiten und eine unbefristete, feste Stelle. Aber ich kann die Zukunft nicht absehen, weil ich weiß, dass sich ein Leben auch schnell verändern kann.

Wie viele Stunden arbeitest du?

30 Stunden pro Woche, bei den Muttidiensten manchmal nur 20 Stunden, in den anderen Wochen dann mehr.

Heißt es wirklich Muttidienst?

Ja, das sagen sie so. Ich kannte das vorher auch nicht, sage das aber auch. Es sind verkürzte Dienste. Ich fange so an, dass ich die Kinder morgens fertig machen und mein kleines Kind zur Schule bringen kann. Nachmittags hole ich sie dann vom Hort ab.

Gibt es auch Väter, die Muttidienste machen?

Ja, gibt es auch. Bei mir klappt es gut, weil ich nur 30 Stunden arbeite. Es gibt aber auch Kolleginnen und Kollegen, die 38 Stunden arbeiten. Die Wochen ohne Muttidienste sind dann schon hart.

Was ist das Highlight deines Arbeitstages?

Feierabend. (lacht) Aber es gibt auch andere schöne Momente. Zum Beispiel, wenn Bekannte einsteigen. Meine Kinder finden meinen Job auch super und sind schon ein paar Mal mitgefahren, stellen viele Fragen, zum Beispiel zu Buslinien.

Ist die Wertschätzung deiner Kinder auch die, die du sonst erfährst?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich kenne auch andere Momente, wenn ich komisch angeschaut werde, weil ich Busfahrerin bin. Die Schubladen gehen auf im Kopf. Der motzende Busfahrer, der die Tür nicht aufmacht.

Machst du die Tür auf?

Ja, klar. Ich habe auch schon mal zwischen zwei Haltestellen gehalten, um noch Leute einzusammeln. Und insgesamt ist es ja auch wirklich eine coole Sache: Wir bieten Teilhabe. Menschen können ihr Leben leben, weil wir sie hinbringen.

Ist es ein Job, den du empfehlen kannst?

Tja. Ich habe Interesse daran, dass neue Leute in den Job kommen und dass es nette und coole Leute sind. Und trotzdem weiß ich nicht, ob ich den Job wirklich empfehlen kann.

Wertschätzung hat auch mit Geld zu tun. Verdienst du genug?

Wir haben ja einen Tarifvertrag und sind ziemlich weit unten eingestuft. Mehr Wertschätzung würde bedeuten, dass wir weiter oben eingestuft werden. Wir haben ja viel Verantwortung für die Menschen im Bus und den ganzen Straßenverkehr draußen. Jeder Bremsvorgang, den du nicht lange vorher geplant hast, heißt im Zweifel Verletzte im Bus. Für meine 30 Stunden bekomme ich 1.600 oder 1.700 Euro pro Monat. Da sind aber auch Zuschläge dabei. Wenn ich morgens um vier anfange, habe ich zwei Nachtstunden. Das ist nicht viel, aber ein paar Euro.

Mit zwei Kindern ist das nicht die Welt.

Nee, genau.

Was wäre gerecht?

Ich kann das so schlecht vergleichen. Mein Ex-Mann ist Erzieher, arbeitet als Hort-Leiter. Er hat eine Fünf vorne stehen bei seinem Brutto und ich hatte lange keine Zwei. Da denke ich mir: Ja, okay, er hat viel Verantwortung. Aber ich ja auch. Das ist schon ungerecht. Ich möchte einfach von meinem Lohn gut leben können. Momentan suche ich eine neue Wohnung für uns, und das ist mit meinem Lohn fast unmöglich.

Gibt es finanzielle Aufstiegsmöglichkeiten für dich?

Nichts, was sich wirklich rechnet.

Was müsste sich ändern, damit du empfehlen kannst, Busfahrerin zu werden?

Wir haben ja gerade wieder Tarifverhandlungen. Unsere Forderungen sind: Entlastungen durch mehr Urlaubstage und bezahlte Wegezeit. Wir beginnen morgens auf dem Betriebshof, viele kommen mit dem Auto, zum Beispiel weil noch kein Bus fährt. Wir haben dann aber an einer ganz anderen Haltestelle Feierabend. Und dann musst du aber zum Betriebshof zurück und dein Auto holen. Diese Zeit ist dann schon deine Freizeit. Bis vor einem Jahr mussten wir diese Fahrt dann auch noch offiziell mit 3,20 Euro bezahlen.

Fährst du als Busfahrerin nicht kostenfrei Öffis?

Nein. Wir bekommen aber mittlerweile einen Zuschuss. Davon habe ich mir ein Deutschlandticket gekauft und kann jetzt alles fahren. Und was mein Arbeitsleben aktuell auch besser macht, ist das Bündnis „Wir fahren zusammen“. Seitdem ich dort aktiv bin, macht mein Job noch viel mehr Sinn für mich. Vorher habe ich mich ein bisschen verloren gefühlt. Jetzt habe ich Verbündete und dadurch auch wieder bessere Laune im Job.

Wann musst du morgen wieder arbeiten?

Um vier Uhr.

Momo heißt eigentlich anders, aber sie möchte, dass ihr Name nicht genannt wird. Sie ist eine von knapp 1.300 Fahrer:innen der Leipziger Verkehrsbetriebe, zu denen neben 155 Bussen auch 271 Straßenbahnen gehören. Das Busnetz umfasst 714 Kilometer

Das Gespräch mit ihr ist Teil der Serie „Neue Maloche: Darin führt die Journalistin Mareice Kaiser für den Freitag Gespräche mit Menschen, die malochen – und meist nicht in medialen Diskursen zu Arbeitsthemen zu Wort kommen

QOSHE - Interview | Busfahrerin in Leipzig: „Ich mache meinen Job auch aus idealistischen Gründen“ - Mareice Kaiser
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Interview | Busfahrerin in Leipzig: „Ich mache meinen Job auch aus idealistischen Gründen“

14 0
21.03.2024

Wir treffen uns zu einem digitalen Gespräch und sind um 14.15 Uhr verabredet, nach Momos Frühschicht. Um 14.14 Uhr schreibt die Busfahrerin, dass es 14.20 Uhr wird. „Ich hab eben die Bahn verpasst“, erklärt sie.

der Freitag: Du kommst gerade von deiner Arbeit. Wann fing dein Arbeitstag an?

Momo: Ich habe heute Morgen um fünf Uhr angefangen. Mein Wecker hat um halb vier geklingelt.

Geht das gut für dich, kannst du gut früh aufstehen?

Tatsächlich war das heute ein spätes Anfangen für mich.

Wann fängst du sonst an?

Ich habe immer eine Woche Muttidienste, wenn meine Kinder bei mir sind. Die andere Woche, wenn meine Kinder bei ihrem Papa sind, habe ich meistens Frühdienste. Gestern zum Beispiel habe ich um 2.48 Uhr angefangen.

Uff, wann gehst du ins Bett, wenn Du um 2.48 Uhr anfängst?

Ich war um 19 Uhr im Bett, aber ich hatte am Wochenende frei. Und nach einem freien Wochenende kann ich nie schlafen. Das ist quälend.

Könntest du auch nur Spät- oder nur Frühdienste machen?

Ja, das würde auch gehen. Aber ich arbeite auch gern früh, weil da weniger Verkehr ist. Der Freizeitverkehr ist ziemlich anstrengend.

Freizeitverkehr ist der nachmittags und abends?

Genau. Der wird auch immer aggressiver. Ich arbeite jetzt seit sechs Jahren als Busfahrerin und das hat sich schon echt verändert.

Inwiefern?

Autofahrer nehmen einem oft die Vorfahrt oder brettern noch über eine rote Ampel. Das hat definitiv zugenommen.

In dieser Serie spreche ich über neue Maloche, es gibt aber auch den Begriff New Work. Was sagt der dir?

So ein bisschen mehr Work-Life-Balance und dass der Trend dahin geht, dass nicht so viele Stunden gearbeitet wird. Wobei ich manchmal denke: New Work bedeutet vielleicht auch, dass man als Arbeitnehmerin immer mehr ausgequetscht wird. Das ist jedenfalls das, was........

© der Freitag


Get it on Google Play