Ob ich Lust hätte, über New Work zu schreiben? Meine Antwort: Über Arbeit schreiben, ja gerne. Aber anders. Ich will über Arbeit sprechen, die von Menschen gemacht wird, die nicht auf den großen Bühnen zu hören sind. Ich will über Maloche sprechen. Mit Menschen, die malochen. Und ich beginne mit dem Malocher meines Lebens, meinem Vater.

Mareice Kaiser: Papa, was verstehst du unter New Work?

Papa: Neues Arbeiten. Dass alles besser und moderner wird mit der Arbeit. Früher war es Manufaktur, Handarbeit. Aber die Arbeit bleibt ja doch die gleiche. Arbeit muss angefangen und beendet werden. Egal ob es Arbeit alter Art oder neuer Art ist.

Im Internet steht: New Work bezeichnet ein neues Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Die zentralen Werte sind Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Beispiele sind Freelancing, der Sechs-Stunden-Tag oder Coworking-Spaces.

Hm. Für mich ist Arbeit etwas, was man mit den Händen macht. Schwitzen will heute ja keiner mehr bei der Arbeit. Heute macht man geistige Arbeit und geht dann ins Fitness-Studio, um seinen Körper zu betätigen. Arbeit, das bedeutet für mich Schwielen und Schweiß.

Wenn mein Vater die Hände aneinanderreibt, macht es ein Geräusch. Wenn meine Hände aneinanderreiben, hört man nichts.

Was wolltest du als Kind werden?

Danach wurde in meiner Kindheit nicht gefragt. Es wurde vorgedacht, was du wirst. Mein Großvater wollte, dass ich Förster werde. Er ist dann gestorben, als ich zehn Jahre alt war. Damit hatte sich das erledigt. Damals wurdest du genauso Bauer, wie es der Vater ist. Ich wollte aus der Großfamilie raus. Für meinen Vater wäre es das Nonplusultra gewesen, beide Söhne als Bauern zu haben. Ich bereue aber nicht, den Hof nicht übernommen zu haben. Aus der Situation habe ich mich selbst rauskatapultiert.

Wie hast du das geschafft?

Mir war klar, dass ich was machen will, womit ich reich werde. Etwas, wo die Leute später, wenn ich zurück ins Dorf komme, sich wundern. Jemand aus der Verwandtschaft war als armer Mensch weggegangen, arbeitete als Koch auf einem Schiff. Als er wiederkam, staunten alle, wie reich er war. Das wollte ich auch. Deshalb wollte ich eine Ausbildung als Koch machen.

Was würdest du heute machen, wenn du jung wärst?

Nichts anderes. Die Lehre war toll. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, ich will nichts ändern.

Später hast du den Job gewechselt, von Koch zu Lkw-Fahrer. Warum?

Als Koch war das schädlich für uns als Familie, die Arbeitszeiten. Ich wollte Geld verdienen, aber familiengerecht.

Und das ging als Lkw-Fahrer besser?

Nicht wirklich.

Foto: Mareice Kaiser

Mein Vater war viel unterwegs, als ich klein war, mehrere Tage am Stück. Dann wechselte er den Arbeitgeber und hatte nur noch selten mehrtägige Touren. Meinem Vater sieht man die körperliche Arbeit an, heute, mit 75 Jahren. Er ist stolz auf seine Muskeln, die nicht vom Fitness-Studio kommen, sondern von „ehrlicher Arbeit“, wie er sagt.

Du bist 75, mittlerweile in Rente und arbeitest trotzdem. Warum?

Das hat was mit dem Sozialen zu tun. 40 Jahre habe ich arbeiten müssen. Heute entscheide ich, ob ich arbeite oder nicht. Das ist ein ganz tolles Gefühl. Ich mache die Arbeit gut und werde wieder gefragt. Ich werde wertgeschätzt.

Früher war das anders?

Ich muss nicht mehr arbeiten gehen, um Geld zu verdienen. 40 Jahre war das erforderlich. Jetzt darf ich es tun, wenn ich möchte. Es ist ein anderes Gefühl, zu arbeiten, wenn man finanziell unter Druck steht und das Geld braucht.

Was hältst du von einem bedingungslosen Grundeinkommen? Klar, deine Rente hast du dir verdient mit vielen Jahren harter Arbeit. Aber wenn alle genug Geld fürs Existenzminimum hätten, könnten sie sich auch so fühlen wie du jetzt bei der Arbeit.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Es erzieht die Leute zum Schlendrian.

Du könntest doch auch auf dem Sofa liegen, aber machst es nicht. In einer idealen Welt könnten alle so arbeiten wie du jetzt.

Nein, das geht nicht. Dafür ist der Konkurrenzkampf zu groß. Das Arbeitsleben ist kein Wunschkonzert. Wenn ich gesund und arbeitsfähig bin, muss ich arbeiten.

Wie viel arbeitest du aktuell?

Vier bis sechs Mal pro Monat. Mein Arbeitstag beginnt meistens nachts, um drei oder um fünf Uhr. Letzte Woche musste ich nach Aachen, da bin ich um ein Uhr aufgestanden. Nach zwölf Stunden war ich wieder zu Hause, vorher hab ich Gott und die Welt gesehen. Morgens mache ich mir Brote für den Tag und Kaffee, und es geht los. In der Firma lade ich den Lkw ein.

Mein Vater arbeitet für eine Firma, die Büromöbel herstellt. Beim Einladen ist er vor ein paar Monaten von der Hebebühne gefallen. Mehrere Wochen konnte er seinen Nacken nicht gut bewegen und hatte ein blaues Auge.

Ich muss mich nicht mehr beweisen heute. Ich entscheide, was ich mache. Wie ich mit so wenig körperlichem Einsatz wie möglich die Möbel vom Lkw kriege. Die Firma hat mir einen Lkw mit Hebebühne gegeben, so kann ich alles stufenlos transportieren. Die Berufsgenossenschaften sind stark hinterher, dass die Fahrer nicht nach 20 Jahren körperlich Schrott sind.

Früher hast du ja schon auch richtig viel getragen, oder?

Ja, früher habe ich viel geschleppt, aber nie alleine, sondern mit Kollegen. Die Hebebühnen haben die Lkw nicht aus Fürsorge für die Arbeiter bekommen. Das kostet einen Haufen Geld. Aber beim Arbeitsunfall wird die Lohnfortzahlung gewährleistet. Also achten die Arbeitgeber darauf, dass dir so wenig wie möglich körperliche Schäden zustoßen können. Deshalb tragen wir Sicherheitsschuhe. Das macht der Arbeitgeber nicht, weil er dich so lieb hat. Sondern weil die Berufsgenossenschaft das vorgibt. Als ich noch Betriebsratsvorsitzender war, wollte die Gewerkschaft ein Beladeverbot für Lkw-Fahrer durchsetzen. Das hat sich aber nicht durchgesetzt. Es hat keiner Interesse daran, dass der Fahrer sich kaputtarbeitet, aufgrund der Tätigkeit in Rente geht. Die Bergarbeiter früher hatten Kohlelungen, weil sie Feinstaub einatmen mussten. Wegen der Arbeit wurden sie dann berufsunfähig.

Also würdest du sagen, es ist für Lkw-Fahrer gut gesorgt?

Die soziale Absicherung ist gut; das Problem ist nur, dass versucht wird, sie zu unterlaufen, etwa mit ausländischen Arbeitern, die keine Berufsgenossenschaft haben.

Was würde die Situation noch verbessern?

Mehr Parkplätze an Autobahnen. Wir müssen ja unsere Ruhepausen einhalten, das ist aber oft nicht möglich, weil es keine ruhigen Parkplätze dafür gibt. Der Abstellplatz sollte nicht der Pannenstreifen auf der Autobahn sein. Es braucht einen Platz, wo der Fahrer sich ruhig aufhalten kann, gut auf Toilette gehen und essen kann. Und nicht hinten auf der Ladefläche sich selbst was kochen müssen mit einem Gaskocher, was viele machen. So, wie der Professor in der Uni in der Mensa essen kann, braucht ein Lkw-Fahrer einen Platz für eine ruhige Essenspause.

Ich esse manchmal am Schreibtisch, aber das ist richtig doof.

Ja, ich esse auch oft mein Butterbrot beim Fahren.

Was würdest du ändern, wenn du Arbeitsminister wärst?

Die Gesetze sind da, es ist alles geregelt. Aber sie werden nicht eingehalten. Dafür würde ich sorgen.

Und könntest du dir vorstellen, meinen Job zu machen, der wenig mit Schwielen und Schweiß zu tun hat?

Ich weiß gar nicht so richtig, was dein Job ist.

Letztens warst du ja bei einer Lesung von mir, das gehört auch zu meinem Job.

Ja, Geschichten erzählen, das könnte ich auch. Was würdest du denn machen, wenn du noch mal neu entscheiden könntest?

Singen, Musik machen.

Eine brotlose Kunst.

Mareice Kaiser ist Autorin und Moderatorin. Ihr Buch Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht erschien 2022 im Rowohlt Verlag

Mareice Kaisers Papa wurde 1948 geboren und ist Vater von drei Kindern. Erst machte er eine Lehre zum Koch, dann wurde er Lkw-Fahrer. Zurzeit arbeitet er für ein Möbelunternehmen. In den Ruhestand zu gehen, plant der 75-Jährige nicht

QOSHE - Interview | Ein Malocher über New Work: „Arbeit macht man mit den Händen, mit Schwielen und Schweiß“ - Mareice Kaiser
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Interview | Ein Malocher über New Work: „Arbeit macht man mit den Händen, mit Schwielen und Schweiß“

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29.11.2023

Ob ich Lust hätte, über New Work zu schreiben? Meine Antwort: Über Arbeit schreiben, ja gerne. Aber anders. Ich will über Arbeit sprechen, die von Menschen gemacht wird, die nicht auf den großen Bühnen zu hören sind. Ich will über Maloche sprechen. Mit Menschen, die malochen. Und ich beginne mit dem Malocher meines Lebens, meinem Vater.

Mareice Kaiser: Papa, was verstehst du unter New Work?

Papa: Neues Arbeiten. Dass alles besser und moderner wird mit der Arbeit. Früher war es Manufaktur, Handarbeit. Aber die Arbeit bleibt ja doch die gleiche. Arbeit muss angefangen und beendet werden. Egal ob es Arbeit alter Art oder neuer Art ist.

Im Internet steht: New Work bezeichnet ein neues Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Die zentralen Werte sind Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Beispiele sind Freelancing, der Sechs-Stunden-Tag oder Coworking-Spaces.

Hm. Für mich ist Arbeit etwas, was man mit den Händen macht. Schwitzen will heute ja keiner mehr bei der Arbeit. Heute macht man geistige Arbeit und geht dann ins Fitness-Studio, um seinen Körper zu betätigen. Arbeit, das bedeutet für mich Schwielen und Schweiß.

Wenn mein Vater die Hände aneinanderreibt, macht es ein Geräusch. Wenn meine Hände aneinanderreiben, hört man nichts.

Was wolltest du als Kind werden?

Danach wurde in meiner Kindheit nicht gefragt. Es wurde vorgedacht, was du wirst. Mein Großvater wollte, dass ich Förster werde. Er ist dann gestorben, als ich zehn Jahre alt war. Damit hatte sich das erledigt. Damals wurdest du genauso Bauer, wie es der Vater ist. Ich wollte aus der Großfamilie raus. Für meinen Vater wäre es das Nonplusultra gewesen, beide Söhne als Bauern zu haben. Ich bereue aber nicht, den Hof nicht übernommen zu haben. Aus der Situation habe ich mich selbst rauskatapultiert.

Wie hast du das geschafft?

Mir war klar, dass ich was machen will, womit ich reich werde. Etwas, wo die Leute später, wenn ich zurück ins Dorf komme, sich........

© der Freitag


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