Die Börse, das ist für Linke ein verruchter Ort. Das Herz des Kapitalismus: Hier geht es um Gewinne, Dividenden, Kurssteigerungen, um Vermögen, nicht um gute Arbeitsbedingungen, anständige Löhne und soziale Sicherheit. Kein Wunder, dass sich Linke hier nicht wohlfühlen, den Ort gar scheuen und Aktien verteufeln. Der Börse fernzubleiben, sei gar ein politischer Protestakt. Aber: Ist das wirklich gerechtfertigt?

Die Antwort lautet: nein. Ein wirksamer Protest ist das Fernbleiben nicht. Die Gelder, die an der Börse bewegt werden, sind so groß, dass das Engagement von Kleinaktionären nicht auffällt. Wer damit eine Botschaft senden will, findet schlicht keinen Empfänger. Was auch oft missverstanden wird: Wer Aktien kauft, überweist sein Geld nicht an das Unternehmen, sondern an den vorherigen Aktionär. Der VW-Konzern hat nicht einen Euro mehr, wenn man dessen Aktien kauft. Mehr Geld bekommt er nur, wenn VW neue Aktien ausgibt.

Heißt aber auch: Ob man sein Sparschwein zur Börse bringt oder nicht, hat kaum realen Einfluss. Auch nicht, ob man sich an VW, der Deutschen Bank oder einem Solar-Start-up beteiligt. Kapitalismuskritische Geldanlage ist also eine Illusion.

Wenn überhaupt, stimmt das Gegenteil: Wer Aktien hat, darf bei Hauptversammlungen über den Kurs des Unternehmens mitbestimmen. Groß ist der Einfluss natürlich nicht, sofern man nicht zur Vermögenselite gehört. Trotzdem lässt sich damit Protest organisieren, wie der Verband der Kritischen Aktionäre beweist. Etwa 1.200 Aktieninhaber haben dem Verband ihre Stimmrechte übertragen, um bei Hauptversammlungen Anträge zu stellen.

Auch ist es falsch, die Börse pauschal als destruktives Spekulanten-Casino abzustempeln. Wer eine Aktie kauft, beteiligt sich am Eigenkapital eines Unternehmens. Das ist produktiv. Im Casino wird nichts erwirtschaftet, in Unternehmen aber schon. Im Casino ist man Teil eines Nullsummenspiels, als Aktionär nicht.

Selbstverständlich gibt es auch Casinospekulation an der Börse. Wer zum Beispiel mit Derivaten auf Kursveränderungen bei Aktien, Rohstoffen oder Währungen setzt, der wettet eher, als zu investieren – und nimmt sehr wohl teil an einem großen Nullsummenspiel, bei dem die Wettsieger ihre Gewinne auf Kosten der Wettverlierer einstreichen. Das ist der destruktive Teil der Börse. Wer daran etwas ändern will, muss politische Hebel in Gang setzen, um die Spielregeln zu ändern. Als Kleinaktionär hat man auch hier keinen Einfluss.

Auch ist es nicht gerade rational, Aktien und Börsen kategorisch auszuschließen, während man sein Geld bei der Bank hält. Wer Geld auf der hohen Kante hat, kann an der Börse mehr verdienen als mit dem Sparbuch bei der Bank. Und mal ehrlich: Das Sparbuch ist auch nicht weniger kapitalistisch als ein Aktiendepot, oder?

Ohne Zweifel gibt es an der Börse auch ein Risiko. Wie groß das ist, hängt von der Strategie ab. Wer all sein Geld auf ein paar Einzelaktien setzt, kann schlaflose Nächte erleben. Ebenso, wer heute schon weiß, dass er sein Geld bald wieder brauchen wird. Dagegen gilt: Wer mit einem Sparplan Geld anlegt, das in naher Zukunft nicht angezapft werden muss, und mit Standard-ETFs auf Aktien in der ganzen Welt setzt, der kann ruhiger schlafen – und von höheren Renditen profitieren als beim Sparbuch.

Trotzdem kann man gegen die Aktienrente sein, wie die Ampel sie jetzt umsetzen will. Wenn der Staat Geld für die Rente braucht, muss er nicht über den Umweg der Börse Kursgewinne bei Aktien abschöpfen, sondern kann das Geld auch anders reinholen. Zum Beispiel, ganz altmodisch, über Steuern. Besteuern lassen sich übrigens auch die Vermögen von schwerreichen Aktionären.

Als Linker weiß man: Die Rente ist eine Verteilungsfrage. Die Erwerbstätigen backen einen Kuchen, der an alle verteilt wird, auch an Kinder, Kranke, Rentner. Was tun, wenn es bald mehr Rentner und weniger Erwerbstätige gibt? Dann müssen die Arbeitenden mehr erwirtschaften: produktiver werden. Dafür braucht es Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Und eine Vollbeschäftigungspolitik. Hilft da die Aktienrente? Nein.

Man kann also links sein, aber sein Geld an der Börse anlegen und gleichzeitig die Aktienrente kritisieren. Ganz grundsätzlich: Es spart auch Kraft für die wirklich wichtigen Konflikte, wenn man nicht alle Facetten des Kapitalismus zu einem persönlichen Problem macht.

QOSHE - Geldanlage | Linke, geht an die Börse! - Maurice Höfgen
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Geldanlage | Linke, geht an die Börse!

10 3
26.03.2024

Die Börse, das ist für Linke ein verruchter Ort. Das Herz des Kapitalismus: Hier geht es um Gewinne, Dividenden, Kurssteigerungen, um Vermögen, nicht um gute Arbeitsbedingungen, anständige Löhne und soziale Sicherheit. Kein Wunder, dass sich Linke hier nicht wohlfühlen, den Ort gar scheuen und Aktien verteufeln. Der Börse fernzubleiben, sei gar ein politischer Protestakt. Aber: Ist das wirklich gerechtfertigt?

Die Antwort lautet: nein. Ein wirksamer Protest ist das Fernbleiben nicht. Die Gelder, die an der Börse bewegt werden, sind so groß, dass das Engagement von Kleinaktionären nicht auffällt. Wer damit eine Botschaft senden will, findet schlicht keinen Empfänger. Was auch oft missverstanden wird: Wer Aktien kauft, überweist sein Geld nicht an das Unternehmen, sondern an den vorherigen Aktionär. Der VW-Konzern hat nicht einen Euro mehr, wenn man dessen Aktien kauft. Mehr Geld bekommt er nur, wenn VW neue Aktien ausgibt.

Heißt aber auch: Ob man sein Sparschwein zur Börse bringt oder nicht, hat kaum realen Einfluss. Auch nicht, ob man sich an VW, der Deutschen Bank oder einem........

© der Freitag


Get it on Google Play