Von außen sieht es aus wie ein gewöhnlicher Flohmarkt, nur überdacht – und ohne Verkäufer. Von der Kante eines der Tische hängt ein Papierschild mit der Aufschrift „Kinderkleidung“. Julia steht in einem kleinen Pulk davor und nestelt an einer braunen Hose, prüft kritisch den elastischen Stoff, legt sie wieder zurück. Hätte sie ihr gefallen, hätte sie sie einfach eingepackt und mitgenommen. Denn die braune Kinderhose, wie alle Hosen, Pullover, Kleider und T-Shirts, die hier auf Tischen liegen und von Kleiderstangen baumeln, ist kostenlos.

Zweimal im Jahr verwandelt sich das evangelische Gemeindehaus der Stadt Freising, knapp 40 Minuten nordöstlich von München, in einen gut besuchten Indoor-Umsonst-Flohmarkt. Kleidertauschparty ist der offizielle Name dieser Veranstaltung, das Motto auf den bunten Flyern lautet „Swap, don’t shop“, „Kaufe nicht, tausche“. Eine Pflicht, gebrauchte Kleidung mitzubringen, gibt es nicht. Die meisten tun es trotzdem – und füllen die leer gewordenen Tüten direkt mit neuen Fundstücken.

Für Julia, Mutter eines sechsjährigen Sohnes, roter Lippenstift und brauner Pferdeschwanz, geht es dabei nicht nur um Nachhaltigkeit. Klar, die ist ihr wichtig, sie führt einen „Ökohaushalt“, wie sie selbst sagt. Aber die Fotografin und Malerin hat auch schlicht Spaß an Mode, daran, nach „Schätzen“ für sich und ihre Familie zu suchen. Damit darunter nicht die Umwelt leidet, geht sie viel auf Flohmärkte, verschenkt Gebrauchtes, shoppt online auf Kleinanzeigen. Es sei ja „schon alles da“, sagt sie, es brauche nur eine „andere Ökonomie“, um es besser zu verteilen.

Aktuell taugt die Textilindustrie nicht als Hoffnungsträger einer neuen Wirtschaft, eher als Sinnbild der verheerenden Folgen der jetzigen. Extremer Wasserverbrauch beim Baumwollanbau, jährlich mehrere Millionen Tonnen Erdöl für Chemiefaserproduktion, Unmengen an CO₂ durch Verarbeitung und Transport und dazu noch Müllmassen dank Überkonsum – die Liste an Umweltsünden ist lang. In Freising erinnert daran eine Diashow, die ein Beamer an eine freie Wand über der Kleiderbörse projiziert. Bilder von Müllhaufen, unendlich wie Ozeane, wechseln sich ab mit zu Würfeln gepresstem Textilschrott. Dazwischen ein Spruch in warmen Leuchtbuchstaben: „Rettet alles“. Schräg gegenüber hängt die analoge Erinnerung daran, dass das hier ein christliches Gemeindehaus ist. Auf handbeschrifteten Plakaten haben Konfirmanden festgehalten, was sie mit Gott verbinden. „Beschützer“ steht dort, „Zuhause“ und „Hirte“, „gnädig“ und „allwissend“.

Das sei zwar Zufall, versichert Seelsorgerin Moni von der katholischen Jugendstelle, die den Kleidertausch gemeinsam mit der evangelischen Jugend und dem Verein Freischenk organisiert. Für die 30-Jährige, die jeden Besucher begrüßt und auf den liebevoll gemalten Lageplan hinweist, gibt es da aber durchaus eine Verbindung. „Schöpfungsverantwortung“ nennt sie das. Weil alles auf der Welt „von Gott geschenkt“ sei, müssten wir die Natur schützen, mit den Ressourcen sparsam umgehen. Und: „Christen haben einen Grundauftrag, Gutes zu tun.“ Das heißt für sie nicht nur Umweltschutz, sondern auch Menschen zusammenbringen. Kleidertauschpartys verbinden beides – und kamen durch einen Zufall nach Freising.

Die Idee, gebrauchte Kleidung untereinander zu tauschen, ist wohl so alt wie Kleidung selbst. Seit der Nachhaltigkeitshype um sich greift, wurden daraus Events: inklusive Verpflegung, Musik, Workshops, Kinderbetreuung. Auf der Onlineplattform Kleidertausch werden die Veranstaltungen seit sieben Jahren gesammelt, passend zum Thema nach dem Crowdsourcing-Prinzip: Nutzerinnen und Nutzer tragen eigenständig Termine ein. Die Betreiberinnen schätzen auf Anfrage des Freitag, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Tauschpartys in Dörfern und kleineren Städten stattfinden.

Der Verein Freischenk, 2020 gegründet, ist ein Freisinger Treffpunkt fürs Verschenken und Annehmen, Reparieren und Aufwerten. Zwei junge Frauen, erzählt Gründungsmitglied Gabi bei – natürlich kostenlosem – Kaffee und Kuchen, suchten Räumlichkeiten für einen einmaligen privaten Kleidertausch. Das passte ins Konzept, „Schenken verbindet“, heißt es im ausliegenden Infoflyer. Der Verein nahm sich der Sache an, die christlichen Jugendstellen waren ebenfalls dabei. „Die Idee, dass der Kleiderschrank jede Saison neu aufgefüllt werden muss“, sagt Gabi, im Hauptberuf Kunsttherapeutin, „ist ungesund für unsere Welt.“ Ältere Generationen hätten das nachhaltige Denken sowieso „im Gepäck“, dann habe es eine Zeit des „neu, neu, neu“ gegeben, jetzt hätten die Jüngsten das Umweltthema wieder für sich entdeckt. „Das verbindet die alte mit der jungen Generation.“

Da ist die 69-jährige Helga, die mit ihrer Schwester und deren erwachsenen Töchtern stöbert. Sie würden ohnehin schon immer untereinander Kleidung tauschen, erzählen die Frauen, so seien sie aufgewachsen, selbst Helgas Auto ist Baujahr 1998. Am anderen Ende des Saals stehen zwei junge Männer und winken ihre sechzehnjährige Schwester Anna heran. Wie zuvor ihr Bruder zeigt Anna auf die Kleidung an ihrem Körper, ihre Jeanshose, das Shirt unter ihrem Pullover, alles Second-Hand. Wenn etwas ihr doch nicht gefalle, habe sie ein gutes Gefühl dabei, es bei der nächsten Aktion einfach wieder mitzubringen.

Wie Anna sehen es immer mehr Menschen in Deutschland. Die Wirtschaftsberater von PwC gehen davon aus, dass der Umsatz des deutschen Second-Hand-Modemarktes von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf fünf bis sechs Milliarden Euro bis 2025 ansteigen wird.

Der wichtigste Grund dürften die steigenden Preise bei sinkenden Reallöhnen sein, doch wohlsituierte Fashionistas reiten die Welle mit. Melanie Kieback alias Vanellimelli, mit einer halben Million Instagram-Followern eine der größten deutschen Influencerinnen, hat ihre ganze digitale Marke um das Thema Second Hand aufgebaut: „90 Prozent meines Kleiderschrankes habe ich gebraucht gekauft“, erklärte sie jüngst dem Modemagazin Glamour. Ihr Instagramprofil, analoge Selbstporträts statt schnelle Handyvideos, sieht aus, als hätte man das Konzept Influencertum in die Siebzigerjahre versetzt. Dem tun auch die bezahlten Werbeposts für Chanel, Desigual oder Marco Polo keinen Abbruch – das ist schließlich Teil des Jobs.

Mit dieser Welt hat die Kleidertauschparty im evangelischen Gemeindehaus Freising zwar wenig zu tun. Doch die Initiatorinnen vom Verein Freischenk haben noch viel vor. Im April soll die „Bibliothek der Dinge“ eröffnen, ein offener Verleih für alles, was sich verleihen lässt: von Werkzeug über Spiele bis zu Küchenutensilien. Sie planen eine festliche Eröffnung mit Musik, Essen, Familienprogramm. Beim Sachen verleihen gilt das gleiche wie beim Kleider tauschen: Nachhaltigkeit ist immer ein guter Grund für eine Party.

QOSHE - Mode | Kleidertauschpartys: Swap Baby, Swap - Özge Inan
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Mode | Kleidertauschpartys: Swap Baby, Swap

7 0
15.03.2024

Von außen sieht es aus wie ein gewöhnlicher Flohmarkt, nur überdacht – und ohne Verkäufer. Von der Kante eines der Tische hängt ein Papierschild mit der Aufschrift „Kinderkleidung“. Julia steht in einem kleinen Pulk davor und nestelt an einer braunen Hose, prüft kritisch den elastischen Stoff, legt sie wieder zurück. Hätte sie ihr gefallen, hätte sie sie einfach eingepackt und mitgenommen. Denn die braune Kinderhose, wie alle Hosen, Pullover, Kleider und T-Shirts, die hier auf Tischen liegen und von Kleiderstangen baumeln, ist kostenlos.

Zweimal im Jahr verwandelt sich das evangelische Gemeindehaus der Stadt Freising, knapp 40 Minuten nordöstlich von München, in einen gut besuchten Indoor-Umsonst-Flohmarkt. Kleidertauschparty ist der offizielle Name dieser Veranstaltung, das Motto auf den bunten Flyern lautet „Swap, don’t shop“, „Kaufe nicht, tausche“. Eine Pflicht, gebrauchte Kleidung mitzubringen, gibt es nicht. Die meisten tun es trotzdem – und füllen die leer gewordenen Tüten direkt mit neuen Fundstücken.

Für Julia, Mutter eines sechsjährigen Sohnes, roter Lippenstift und brauner Pferdeschwanz, geht es dabei nicht nur um Nachhaltigkeit. Klar, die ist ihr wichtig, sie führt einen „Ökohaushalt“, wie sie selbst sagt. Aber die Fotografin und Malerin hat auch schlicht Spaß an Mode, daran, nach „Schätzen“ für sich und ihre Familie zu suchen. Damit darunter nicht die Umwelt leidet, geht sie viel auf Flohmärkte, verschenkt Gebrauchtes, shoppt online auf Kleinanzeigen. Es sei ja „schon alles da“, sagt sie, es brauche nur eine „andere Ökonomie“, um es besser zu verteilen.

Aktuell taugt die Textilindustrie nicht als Hoffnungsträger einer neuen Wirtschaft, eher als........

© der Freitag


Get it on Google Play