Als Ende November bekannt wurde, dass das Saarlandmuseum eine über Jahre geplante Ausstellung der Künstlerin Candice Breitz nicht zeigen wird, war das die jüngste in einer Reihe von Absagen. Gegenstand der Ausstellung wäre TLDR (2017) gewesen, eine mehrstündige Videoarbeit, die aus Interviews mit Sexarbeiter*innen besteht. Darum ging es aber nicht in der Kontroverse, sondern, so die Stellungnahme der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, um die mediale „Berichterstattung über die Künstlerin im Zusammenhang mit ihren kontroversen Äußerungen im Kontext des Angriffskrieges der Hamas auf den Staat Israel“. Die Stiftung wolle keine Künstler*innen zeigen, die sich nicht gegen die Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober positionieren.

Dabei wurde die Künstlerin nicht vorab gefragt, ihre Ausladung fand auch eher, so schrieb die Saarländische Zeitung, auf Verdacht statt. Die Absage kommt umso überraschender, weil Breitz sich nicht nur von BDS – einer Bewegung, die wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Boykott Israels fordert – distanziert hat, sondern weil sie selbst ins Visier der israelfeindlichen Initiative geraten ist.

Die 1972 in Johannesburg in Südafrika geborene jüdische Künstlerin lebt in Berlin, lehrt in Braunschweig, und es ist nicht das erste Mal, dass eine Veranstaltung mit ihr abgesagt wurde. Für den 10. November war ein Podiumsgespräch geplant: „We Still Need to Talk“, so der Titel. Die Idee gab es schon lange vor dem Pogrom vom 7. Oktober der Hamas und bevor die Zivilbevölkerung in Gaza unermesslichem Leid ausgesetzt war.

Zuerst war die Veranstaltung für die Akademie der Künste in Berlin konzipiert worden, die hatte sich aber schon 2022 dagegen entschieden – zu einseitig sei die Ausrichtung gewesen. Gemeinsam mit Breitz hat der Holocaustforscher Michael Rothberg die Veranstaltung organisiert, der für eine multidirektionale Erinnerungskultur plädiert, die den Holocaust in Relation zu anderen Menschheitsverbrechen setzt. Damit landet das Podium mitten in einem bestimmen Diskursgebilde, dem Historikerstreit 2.0, bei dem die eine Seite die historische Singularität der Shoah in Frage stellt. Schließlich sollte die Bundeszentrale für Politische Bildung die Veranstaltung ausrichten, sagte dann aber auch ab, aus Solidarität mit den Opfern der Terrorattacke vom 7. Oktober. Es sei eine Zeit der Trauer, hieß es von der Bundeszentrale.

Es gibt noch viele andere Beispiele für Absagen und Terminverschiebungen. Die Auflösung der Documenta-Findungskommission, welcher der Rücktritt des Kurators und Autors Ranjit Hoskote vorausgegangen war, weil er eine Petition von BDS India unterzeichnet hatte. Die Verschiebung – oder Absage – einer Fotoausstellung des Künstlers Raphael Malik in Berlin, die Verschiebung einer Preisverleihung für die palästinensisch-israelische Romanautorin Adania Shibli. Die Liste ist lang, aber die Gründe sind vielfältig.

Manche, wie die Philosophin Susan Neiman, sehen einen neuen McCarthyismus am Werk, so sagte sie in einem Interview mit dem Kunstmagazin Monopol. Aber dass Institutionen zunehmend übereifrig handeln, wenn es darum geht, Künstler*innen auszuladen, ist nur die eine Seite. Zugleich hat sich im Kunstbetrieb die Israelfeindlichkeit normalisiert und es hat sich eine Lesart des Nahostkonflikts durchgesetzt, in der die jahrzehntealte Auseinandersetzung als postkolonialer Zusammenhang dargestellt wird. Die Rolle der Kolonialmacht wird dabei auf Israel projiziert, eine uralte Erzählung, an der sich auch die Debatten um die documenta fifteen entzündeten, auf der vergangenen Sommer dann offen antisemitische Werke ausgestellt wurden.

„It’s not complicated“, hieß es auf einem Transparent, das Mitte November bei einem Protest an der Berliner Universität der Künste (UdK) hochgehalten wurde. Bei der Aktion präsentierten Studierende ihre rot bemalten Handflächen, um gegen die Unterstützung Israels zu protestieren. Blut an den Händen versteht jede*r intuitiv als Symbol für Schuld. Aber gerade in diesem Kontext erinnert die Szene an den Lynchmord von Ramallah, als im Jahr 2000 zwei israelische Reservisten auf brutale Art getötet wurden und einer der Täter stolz seine blutigen Handflächen präsentierte.

Wenn in der Kunstwelt vom Meinungskorridor die Rede ist – eigentlich eine rhetorische Strategie des Populismus, um politische Debatten als ein simples Wir-gegen-die-anderen darzustellen –, wird ausgeblendet, dass es zahlreiche Diskursgemeinschaften gibt. Man schweigt darüber, dass sich viele Jüdinnen*Juden mit ihrer Trauer alleine fühlen, während die Stimmen der BDS-Unterstützer*innen lauter werden. So führt zum Beispiel die BDS-nahe Initiative Index Palestine eine Liste, auf der Kultureinrichtungen, Stiftungen und Magazine als „prozionistisch“ denunziert werden. Die Liste gibt es schon seit 2021, und seit Oktober wird sie immer länger.

Vielleicht wünschen sich manche einen homogenen, aufgeräumten Diskurs, den man sich so kuratieren kann wie einen Social-Media-Feed und ein bisschen weniger kompliziert machen kann. Aber, it’s complicated, wie die Protestierenden an der UdK unfreiwillig beweisen: Die Kunst ist eigentlich verantwortlich dafür, sich mit schwierigen, überdeterminierten Zeichen zu beschäftigen. Bloß hilft die Forderung nach einfachen Positionierungen dabei nicht weiter.

QOSHE - Diskurs | Nahostkonflikt im Kunstbetrieb: It’s complicated - Philipp Hindahl
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Diskurs | Nahostkonflikt im Kunstbetrieb: It’s complicated

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06.12.2023

Als Ende November bekannt wurde, dass das Saarlandmuseum eine über Jahre geplante Ausstellung der Künstlerin Candice Breitz nicht zeigen wird, war das die jüngste in einer Reihe von Absagen. Gegenstand der Ausstellung wäre TLDR (2017) gewesen, eine mehrstündige Videoarbeit, die aus Interviews mit Sexarbeiter*innen besteht. Darum ging es aber nicht in der Kontroverse, sondern, so die Stellungnahme der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, um die mediale „Berichterstattung über die Künstlerin im Zusammenhang mit ihren kontroversen Äußerungen im Kontext des Angriffskrieges der Hamas auf den Staat Israel“. Die Stiftung wolle keine Künstler*innen zeigen, die sich nicht gegen die Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober positionieren.

Dabei wurde die Künstlerin nicht vorab gefragt, ihre Ausladung fand auch eher, so schrieb die Saarländische Zeitung, auf Verdacht statt. Die Absage kommt umso überraschender, weil Breitz sich nicht nur von BDS – einer Bewegung, die wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Boykott Israels fordert – distanziert hat, sondern weil sie selbst ins Visier der israelfeindlichen Initiative geraten ist.

Die 1972 in Johannesburg in Südafrika geborene jüdische Künstlerin lebt in Berlin, lehrt in Braunschweig, und es ist nicht das erste Mal, dass eine Veranstaltung mit ihr abgesagt........

© der Freitag


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