Radio-Liveschalte zum Hauptbahnhof in München in der Früh: Der Reporter spielt Aussagen von Reisenden ein, die er am Vorabend aufgenommen hat – aus Angst, an diesem ersten Morgen des bisher längsten Streiks in der Geschichte der Deutschen Bahn, auf leeren Bahnsteigen niemanden vor sein Mikrofon zu bekommen. Einige Stimmen zum Ausstand der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im gegenwärtigen Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn könne er nicht zu Gehör bringen, sagt der Reporter, zu unflätig. Die vernehmbare Auswahl fällt alles andere als unflätig aus, sondern sehr entspannt – und ausgeglichen: Unverständnis und Sorge über noch mehr Pendler-Stress hier, Verständnis und Sympathie für das Vorgehen der GDL dort. „Man muss sich darauf einstellen“, sagt ein Mann, „ich finde es richtig, dass gestreikt wird. Genauso wie die Bauern. Es muss sich was tun. Und das tut man nur in einer Gemeinschaft.“

Tatsächlich versteht der Radioreporter an einer Stelle des Gesprächs den Moderator im Studio nicht – in München ist im Hintergrund geräuschvoll ein Zug eingefahren!

Es war wohl der Zug eines privaten Bahnunternehmens, zum Beispiel von Go-Ahead, das Nahverkehrsverbindungen in Bayern und Baden-Württemberg betreibt. Berufspendler, wie sie etwa die Go-Ahead-Strecke zwischen Augsburg und München zahlreich nutzen, waren auf diese Firma mit ihren blauen Zügen nicht gut zu sprechen, seitdem sie Ende 2022 Verbindungen von der Bahn-Tochter DB Regio AG übernahm. Dabei waren die Gründe für eine unsägliche Vielzahl von Ausfällen und Verspätungen vor allem Baustellen, deren schlechtes Management sowie das heruntergewirtschaftete Schienennetz – die für all das verantwortliche Bahntochter DB Netz AG musste schon beim bayerischen Verkehrsminister Besserung geloben.

In diesen Tagen nun, wie schon beim GDL-Streik Anfang des Monats, kann Go-Ahead den Ärher der Fahrgäste vielleicht ein wenig lindern und Sympathiepunkte sammeln. Das Unternehmen verkündet: „Kein Streik bei Go Ahead“! Wie kann das sein?

Die Antwort gibt ein Satz vom 5. Januar: „Vertreter der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und des Eisenbahnunternehmens Go-Ahead haben sich in der dritten Verhandlungsrunde auf einen für die Beschäftigten hochattraktiven Tarifabschluss geeinigt.“

Auch für Laien bezüglich der Tarifsysteme im Eisenbahnbereich scheint „hochattraktiv“ hier keine irreführende Arbeitgeber-Prosa zu sein – hierauf haben sich Go-Ahead und GDL unter anderem geeinigt:

Vor allem der letzte Punkt der Einigung zeigt: Da hat jemand die Zeichen der Zeit – Fachkräftemangel bei zugleich erklärtem politischem Willen, Mobilität allein schon aus Klimaschutzgründen auf die Schiene zu verlagern – verstanden.

Und Go-Ahead – vor kurzem haben übrigens die staatlichen Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) das britische Unternehmen übernommen – ist damit nicht allein. Ganz ähnliche Tarifabschlüsse hat die GDL zuletzt mit den Unternehmen Abellio, AKN Eisenbahn GmbH, MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbH, dispo-Tf Rail GmbH, First Passenger Rail Service Germany GmbH, RT&S Lokführer-Akademie, assoft GmbH, Rheinische Bahnpersonal- und Verkehrsgesellschaft mbH, delphi personal GmbH, WestfalenBahn GmbH und mit sieben Unternehmen der Gruppe der Personaldienstleister (PDL) erzielt. Bei den Unternehmen des Transdev-Konzerns beendete sie ihren Streik Mitte Januar sechs Stunden früher – wegen der Vereinbarung weiterer Verhandlungen, die im Februar anstehen.

Dass man sich mit der GDL und ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky offenbar sehr gut und sehr schnell einigen kann, wie all diese Beispiele aus dem Regionalverkehr zeigen, klingt in den Worten einer Konzernsprecherin der Deutsche Bahn AG zu den aktuellen Beeinträchtigungen übrigens so: „Im Regionalverkehr, da schwanken die Ausfälle von Region zu Region stark, da gibt es Unterschiede in Deutschland.“ Je nachdem, wo die Verhandlungsbereitschaft von Eisenbahn-Arbeitgebern mehr oder weniger ausgeprägt ist.

So schwer sich manche in dieser Republik auch jetzt wieder damit tun, dass Menschen entschlossen für ihre Interessen eintreten: Der Ärger über den weitgehend lahmgelegten Eisenbahnverkehr dieser Tage ist ganz bestimmt nicht bei der GDL und ihrem Chef Claus Weselsky abzuladen. Würden alle ihren Job so machen wie das CDU-Mitglied Claus Weselsky – es liefe runder im Lande.

Doch vom Vorstand der Deutschen Bahn ist das bisher nicht zu erwarten. Dessen Mitglieder sind vielleicht gerade damit beschäftigt, nach einer entsprechenden Spiegel-Recherche auszurechnen, wie viel höher genau die Zinsen auf ihre üppigen Boni ausfallen. Oder aber sie kalkulieren noch, was es genau heißt, wenn der FDP-Politiker und Bundesbeauftragte für die Schiene, Michael Theurer, der Wirtschaftswoche sagt, dass das Bundesverfassunsgerichts-Urteil zu Klimafonds und Kreditaufnahme für die Bahn „einen massiven Einschnitt darstellt“.

Es ist im Grunde ganz einfach: Deutschland braucht jede Menge Lokführerinnen und Zugbegleiter und noch viel mehr Personal für den Verkehr auf der Schiene. Deutschland hat eine Gewerkschaft, die engagiert an der Deckung dieses Personalbedarfs arbeitet und ihre ganze Macht in diesen Dienst stellt. Was sonst sollte man bei diesem Arbeitskräftebedarf und bei diesen Zukunftsplänen für die Schiene denn tun, als mehr Geld zu zahlen und attraktivere Arbeitszeitmodelle anzubieten? Die Reduzierung auf 35 Stunden soll, man kann es nicht oft genug betonen, SCHRITTWEISE kommen, nicht SOFORT, bei Abellio etwa bis 1. Januar 2028.

Ein Bahn-Vorstand, der die Zeichen der Zeit erkennen würde, hätte mit Claus Weselsky und der GDL längst eine Einigung gefunden. Und eine Regierung, die die Zeichen der Zeit erkennen würde, hätte diesem Bahn-Vorstand längst die Möglichkeit dazu gegeben, anstatt ihn in den Sog ihrer gestrigen Sparpolitik zu ziehen. Für Einsicht ist es nie zu spät. Zum Dank winken neben erleichterten Fahrgästen und dankbaren Personal-Recruitern der Bahn süße Worte, wie sie Claus Weselsky gerade für Go-Ahead fand: „Hier zeigt sich, dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter wirklich wertschätzt und es nicht nur bei Lippenbekenntnissen belässt.“

Eingebetteter Medieninhalt

QOSHE - Arbeitskampf | GDL-Streik: Da versteht jemand die Zeichen der Zeit! Bahn-Vorstand und Ampel sind es nicht - Sebastian Puschner
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Arbeitskampf | GDL-Streik: Da versteht jemand die Zeichen der Zeit! Bahn-Vorstand und Ampel sind es nicht

10 0
24.01.2024

Radio-Liveschalte zum Hauptbahnhof in München in der Früh: Der Reporter spielt Aussagen von Reisenden ein, die er am Vorabend aufgenommen hat – aus Angst, an diesem ersten Morgen des bisher längsten Streiks in der Geschichte der Deutschen Bahn, auf leeren Bahnsteigen niemanden vor sein Mikrofon zu bekommen. Einige Stimmen zum Ausstand der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im gegenwärtigen Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn könne er nicht zu Gehör bringen, sagt der Reporter, zu unflätig. Die vernehmbare Auswahl fällt alles andere als unflätig aus, sondern sehr entspannt – und ausgeglichen: Unverständnis und Sorge über noch mehr Pendler-Stress hier, Verständnis und Sympathie für das Vorgehen der GDL dort. „Man muss sich darauf einstellen“, sagt ein Mann, „ich finde es richtig, dass gestreikt wird. Genauso wie die Bauern. Es muss sich was tun. Und das tut man nur in einer Gemeinschaft.“

Tatsächlich versteht der Radioreporter an einer Stelle des Gesprächs den Moderator im Studio nicht – in München ist im Hintergrund geräuschvoll ein Zug eingefahren!

Es war wohl der Zug eines privaten Bahnunternehmens, zum Beispiel von Go-Ahead, das Nahverkehrsverbindungen in Bayern und Baden-Württemberg betreibt. Berufspendler, wie sie etwa die Go-Ahead-Strecke zwischen Augsburg und München zahlreich nutzen, waren auf diese Firma mit ihren blauen Zügen nicht gut zu sprechen, seitdem sie Ende 2022 Verbindungen von der Bahn-Tochter DB Regio AG übernahm. Dabei waren die Gründe für eine unsägliche Vielzahl von Ausfällen und Verspätungen vor allem Baustellen, deren........

© der Freitag


Get it on Google Play