Berichte über Ereignisse, die nicht stattfinden, sind nicht gerade die Regel in der Medienwelt. Aber es kommt schon mal vor, dass eine Absage mehr Aufmerksamkeit erregt als das Ereignis selbst, wenn es stattgefunden hätte. Vor allem dann, wenn der unerbittliche und weitgehend polarisierte Streit über den Israel-Palästina-Konflikt ins Spiel kommt.

Für das Ereignis, um das es hier geht, wäre dieser Konflikt ursprünglich ein Aspekt unter vielen gewesen. Die „Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und globale Gerechtigkeit“, die sich dieser Tage in Frankfurt am Main treffen sollte, hatte einen viel umfassenderen Ansatz. Und doch wurde die Auseinandersetzung über den Terror der Hamas und den Krieg in Gaza zum Hauptgrund dafür, das Treffen schweren Herzens abzusagen. Wie das?

Die Idee einer Global Assembly wurde vor rund zwei Jahren geboren, als in Frankfurt und Berlin die Vorbereitungen für ein Jubiläum getroffen wurden. Stadt und Bund bereiteten sich auf den 175. Jahrestag der deutschen Nationalversammlung vor, die im Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammengetreten war. Die Stadtpolitik signalisierte Interesse an Beiträgen zum Jubiläum aus der Zivilgesellschaft, und die Initiative „Der utopische Raum“ griff gerne zu. Das war ein lockerer Zusammenschluss, der regelmäßig politische Veranstaltungen organisierte, getragen von der Stiftung medico international, dem Institut für Sozialforschung, der Frankfurter Rundschau und einigen Einzelpersonen aus Wissenschaft und Kultur.

Der Ansatz für einen Beitrag zum Paulskirchen-Jubiläum war schnell gefunden: Dem nationalen und demokratischen Aufbruch von 1848 könne in Zeiten der Globalisierung nur gerecht werden, wer auch die Idee universeller Menschenrechte global begreift und verteidigt. Wie wäre es also, am Ort des Jubiläums einen geschützten Raum zum Gespräch unter Menschen zu schaffen, die sich in aller Welt – oft unter Bedrohung für Freiheit oder Leib und Leben – für Demokratie und Menschenrechte einsetzen? Menschen, die sich „von unten“ gegen Autoritarismus, die ökologischen Folgen des globalisierten Kapitalismus sowie die vielfältige Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen engagieren?

Die Stadt Frankfurt sagte finanzielle Unterstützung zu, ebenso das Hessische Wissenschaftsministerium sowie die Bundeszentrale für politische Bildung. Es bildete sich ein kleiner Initiativkreis aus Einzelpersonen, die über langjährige Erfahrung in Hilfsorganisationen, politischen Stiftungen, wissenschaftlichen Einrichtungen und Medien verfügten. Hinzu kam ein Trägerkreis aus politischen Stiftungen, Menschenrechtsorganisationen und anderen Initiativen, unter anderem die Friedrich-Ebert-, die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brot für die Welt, medico international und Reporter ohne Grenzen.

So entstand eine Gruppe aus 45 Personen, ausgewählt nach inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten, regionaler Herkunft und Geschlecht, die erstmals im Mai 2023 in Frankfurt zusammenkam. Nach einem Auftakt in der Paulskirche tauschten sich die Teilnehmenden aus allen Kontinenten mehrere Tage lang in Klausur über ihre Erfahrungen aus und erkundeten Denkräume für eine Verteidigung und einen Ausbau grundlegender Rechte. Wie sich aus dieser höchst diversen Menschenansammlung eine im Umgang trotz mancher Kontroverse solidarische Gruppe bildete, wurde für die anwesenden Mitglieder des Initiativkreises zur unvergesslichen Erfahrung. Auch die interessierte Öffentlichkeit nahm an dem Auftakt teil, so veröffentlichte der Freitag eine achtseitige Beilage zu Themen und Hintergründen der Global Assembly.

Aus der Vorversammlung entstanden fünf Arbeitsgruppen, die sich in digitalen Konferenzen mit Autoritarismus, Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit, ökonomischer und finanzieller (Un-)Gerechtigkeit, Migration und Staatenlosigkeit sowie der sozial-ökologische Krise befassten. Die Ergebnisse sollten im März mit etwa 60 Teilnehmenden diskutiert und in mehreren Veranstaltungen der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Ein globaler Diskussionsprozess, angetrieben vom Anspruch auf Gültigkeit und Durchsetzbarkeit universeller Menschenrechte für alle, ob pakistanische Textilarbeiterinnen, bedrohte Journalistinnen aus Ägypten und Russland oder indonesische Bäuerinnen und Fischer, die von ökologischer Zerstörung durch Nickelabbau für deutsche Elektroautobatterien betroffen sind – wie kann es sein, dass die polarisierten Nahost-Debatten diesen Menschenrechtsdiskurs im geschützten Raum eines Frankfurter Kulturzentrums verhindern?

Schon in den vergangenen Jahren hatte sich gezeigt, wie schnell Sichtweisen, vor allem aus dem Globalen Süden, die den Verbrechen der Ex-Kolonialmächte mehr Raum im historischen Bewusstsein verschaffen wollen, vor allem hierzulande schnell als Relativierung des Holocaust gebrandmarkt werden – auch wenn sie solcher Relativierung eine Absage erteilen.

Seit dem gnadenlosen Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den zerstörerischen Gegenschlägen Israels in Gaza hatte sich die Polarisierung des Diskurses erheblich verstärkt. Es gab einerseits, unter dem Deckmantel der „Solidarität mit Palästina“, erschreckende Ausbrüche von Antisemitismus und Vernichtungsfantasien gegenüber Israel. Andererseits wurde der Vorwurf des Antisemitismus in weiten Teilen der deutschen Politik geradezu inflationär benutzt, um auch solche Äußerungen zu delegitimieren, die zwar speziell im deutschen Kontext umstritten und provozierend erscheinen, aber in einem offenen Austausch eigentlich zu ertragen sein müssten. Manchmal fühlten deutsche Funktionsträger sich bemüßigt, einem Juden zu erklären, was Antisemitismus ist – siehe nur den Skandal um die Berlinale.

In diesem Debattenklima kam die Befürchtung auf, dass es auch gegen die Global Assembly Angriffe geben könnte. Nicht weil der Initiativkreis erwartet hätte, dass die Teilnehmenden sich in antisemitischen Äußerungen ergehen würden. Sondern weil klar war, dass auch als legitim anzusehende Positionierungen schnell unter Antisemitismus-Verdacht gestellt und damit skandalisiert werden könnten. Der Entschlossenheit, das Treffen durchzuführen, tat das zunächst keinen Abbruch, der Initiativkreis und die Trägerorganisationen hatten sich in einem vorbereiteten Statement klar positioniert: „Wir gehen davon aus, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Universalität der Menschenrechte sowie demokratische Teilhabe für alle Menschen für uns alle die zentralen Bezugspunkte sind. Diesen Anspruch vertreten wir gegenüber allen, die ihn verletzen, unabhängig davon, ob sie mit dem Recht eines Staates auf Verteidigung oder dem Recht nichtstaatlicher Akteure auf Widerstand begründet werden.“

Nun aber wurde aus den Reihen der Trägerorganisationen, wenn auch nicht von allen, eine andere Befürchtung laut: Was, wenn eine Skandalisierung der Global Assembly gelingen und das Ansehen der Organisationen erfolgreich beschädigt würde? Wäre dann nicht gerade die Arbeit mit den Partnern im Globalen Süden gefährdet?

Diese Befürchtung hat sich nach langer Debatte im Initiativkreis durchgesetzt, und so fiel die Entscheidung, die Versammlung in der geplanten Form abzusagen – was übrigens nicht das Ende des Prozesses bedeuten muss, Gespräche über andere Diskussionsformate haben begonnen. Aber die Kraft, im aufgeheizten Debattenklima medial wirkmächtigen Angriffen zu widerstehen, die zudem die eigentlichen Inhalte überlagern würden, hat der Initiativkreis am Ende weder bei sich selbst noch bei den Organisationen im Trägerkreis gesehen.

Dass diese Entscheidung in manchen Medien nun als Teil der „Cancel Culture“ diffamiert wird, gegen die die Global Assembly selbst sich immer gewandt hat, wird zu ertragen sein. Als Niederlage muss es allerdings in der Tat gewertet werden, dass sich die diskursiven Machtverhältnisse als unüberwindliches Hindernis erweisen, um ein solches Vorhaben mit begrenzten Ressourcen durchzuhalten.

Dieser Text gibt die Sichtweise des Initiativkreises der Global Assembly wieder, dem der Autor angehört

QOSHE - Meinungsklima | Die Angst vor dem Verdacht: Zur Absage der Global Assembly wegen der Nahost-Debatte - Stephan Hebel
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Meinungsklima | Die Angst vor dem Verdacht: Zur Absage der Global Assembly wegen der Nahost-Debatte

11 0
13.03.2024

Berichte über Ereignisse, die nicht stattfinden, sind nicht gerade die Regel in der Medienwelt. Aber es kommt schon mal vor, dass eine Absage mehr Aufmerksamkeit erregt als das Ereignis selbst, wenn es stattgefunden hätte. Vor allem dann, wenn der unerbittliche und weitgehend polarisierte Streit über den Israel-Palästina-Konflikt ins Spiel kommt.

Für das Ereignis, um das es hier geht, wäre dieser Konflikt ursprünglich ein Aspekt unter vielen gewesen. Die „Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und globale Gerechtigkeit“, die sich dieser Tage in Frankfurt am Main treffen sollte, hatte einen viel umfassenderen Ansatz. Und doch wurde die Auseinandersetzung über den Terror der Hamas und den Krieg in Gaza zum Hauptgrund dafür, das Treffen schweren Herzens abzusagen. Wie das?

Die Idee einer Global Assembly wurde vor rund zwei Jahren geboren, als in Frankfurt und Berlin die Vorbereitungen für ein Jubiläum getroffen wurden. Stadt und Bund bereiteten sich auf den 175. Jahrestag der deutschen Nationalversammlung vor, die im Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammengetreten war. Die Stadtpolitik signalisierte Interesse an Beiträgen zum Jubiläum aus der Zivilgesellschaft, und die Initiative „Der utopische Raum“ griff gerne zu. Das war ein lockerer Zusammenschluss, der regelmäßig politische Veranstaltungen organisierte, getragen von der Stiftung medico international, dem Institut für Sozialforschung, der Frankfurter Rundschau und einigen Einzelpersonen aus Wissenschaft und Kultur.

Der Ansatz für einen Beitrag zum Paulskirchen-Jubiläum war schnell gefunden: Dem nationalen und demokratischen Aufbruch von 1848 könne in Zeiten der Globalisierung nur gerecht werden, wer auch die Idee universeller Menschenrechte global begreift und verteidigt. Wie wäre es also, am Ort des Jubiläums einen geschützten Raum zum Gespräch unter Menschen zu schaffen, die sich in aller Welt – oft unter Bedrohung für Freiheit oder Leib und Leben – für Demokratie und Menschenrechte einsetzen?........

© der Freitag


Get it on Google Play