Liebe Buchbranche, bitte nehmen Sie mein geändertes Leseverhalten zur Kenntnis. Ich kann nichts dafür, es hat sich zufällig entwickelt, und das kam so: Vor einigen Monaten hatte ich plötzlich sämtliche Streamingdienste leergeguckt. Um meinen Unmut darüber kundzutun, kündigte ich impulsiv all meine Abos. Dann griff ich – immer noch wütend – zu Das Büro von J.J. Voskuil, ein Buch, das ich vor sechs Jahren in der Mitte aufgehört hatte zu lesen. Mit seinen 840 Seiten ein ganz schöner Oschi. Der könnte mich einige Abende beschäftigen.

Wie aber sollte ich künftig Öffi-Fahrten überstehen, also jetzt, da ich keine Downloads mehr gucken konnte? Das Büro war zu schwer zum Mitschleppen, ein E-Book fürs Smartphone musste her, die Wahl fiel auf Prousts Suche nach ..., Sie wissen schon. An schönen Tagen nehme ich das Rad und stecke mir die Bücher ins Ohr. Möglichst dicke, sonst reichen mir meine Abo-Guthaben nicht. Kürzlich entdeckte ich den Mann ohne Eigenschaften von Musil: 60 Stunden Spieldauer – für nur ein einziges Guthaben. Ein Super-Schnäppchen! Also las ich nun abends, was im Amsterdam der 60er passierte, bei Regen tagsüber, was es aus dem Paris Ende des 19. Jahrhunderts zu vermelden gab, und an schönen Tagen hörte ich, wie es in den 10er Jahren in Wien zuging. Nach zwei Wochen waren die drei Romane in meinem Kopf zu einem neuen verquirlt: Das Suchmannbüro. Dieses ist viel anregender als die drei ollen Einzelwerke. Es springt virtuos zwischen drei Zeitebenen hin und her, spielt mit verschiedenen Stilen und erzählt in endlosen Zerrspiegeln immer wieder dasselbe: wie Leutchen mit großer Akribie sinnlosen Dingen nachgehen und sich dabei in Statuskämpfe verwickeln.

Wer frische Luft braucht, kann Das Büro sogar zur Suchmannbüro-Erzählung aufschäumen. Dazu einfach den furiosen RAF-Roman die Erzählung zur Sache von Stephanie Bart dazwischenschieben. Mit dem können Sie durchbrennen, ausbrechen, soziale Amour fou erleben. Alles super! Blöd ist jetzt bei mir nur, dass – aufgrund des warmen Winters – der E-Book-Proust (aktuell Band drei) in Verzug gerät. Das bereitet mir Sorge. Zu Hause am Handy lesen? Nee! Mehr S-Bahn fahren? Aber wann? Wohin? Nicht dass es mir schon wieder so geht wie gerade erst mit den Mondbürgern, meinem anderen Buchcocktail. Der ist ein Mix aus dem Sachbuch Die Reichsbürger des Juristenehepaars Schönberger und Monde vor der Landung von Clemens J. Setz. Während darin die einen glauben, physisch nicht auf, sondern in der Erde zu leben (Hohlwelttheorie), wähnen sich die anderen mental in einem nicht existierenden Staat. Ein perfekte Mischung!

Nur: Die Monde vor der Landung habe ich als Hörbuch auf CD und muss es wegen unzureichender Technik direkt am Laptop hören. Wie alle meine CD-Hörbücher ist es deshalb zu einem Bügelbuch geworden. Nicht gut: Weil ich zu selten bügle, musste ich gestern schockiert feststellen, dass die Reichsbürger schon alle sind, während die Anhänger der Hohlwelttheorie verwaist zurückbleiben. Entsetzlich! Es kommt mir vor, als hätte jemand Seiten aus dem Werk rausgerissen.

Um dies künftig zu verhindern, liebe Buchbranche, bringen Sie bitte so bald wie möglich vermixte und verquirlte Romane bereits fertig gesampelt als Buchausgabe oder Medienmix heraus. Wäre auch ja ein schönes Geschäftsfeld, oder nicht? Vielen herzlichen Dank.

QOSHE - Kolumne | Vom Buch zum Büchersample: ein Branchen-Tipp - Susanne Berkenheger
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Kolumne | Vom Buch zum Büchersample: ein Branchen-Tipp

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21.03.2024

Liebe Buchbranche, bitte nehmen Sie mein geändertes Leseverhalten zur Kenntnis. Ich kann nichts dafür, es hat sich zufällig entwickelt, und das kam so: Vor einigen Monaten hatte ich plötzlich sämtliche Streamingdienste leergeguckt. Um meinen Unmut darüber kundzutun, kündigte ich impulsiv all meine Abos. Dann griff ich – immer noch wütend – zu Das Büro von J.J. Voskuil, ein Buch, das ich vor sechs Jahren in der Mitte aufgehört hatte zu lesen. Mit seinen 840 Seiten ein ganz schöner Oschi. Der könnte mich einige Abende beschäftigen.

Wie aber sollte ich künftig Öffi-Fahrten überstehen, also jetzt, da ich keine Downloads mehr gucken konnte? Das Büro war zu schwer zum Mitschleppen, ein E-Book fürs Smartphone musste her, die Wahl fiel auf Prousts Suche nach ..., Sie wissen schon. An schönen Tagen nehme ich das Rad und........

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