Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin weiß Bescheid. Was dann?

Diese Frage stellt sich derzeit wirklich, denn Instagram und Threads (beide Teil von Meta) möchten bald keine politischen Inhalte mehr algorithmisch empfehlen. In einem Jahr mit Wahlen in 60 Ländern, in denen über drei Milliarden Menschen mal mehr, mal weniger frei an die Urne treten, in dem Kriege toben und Rechtsextremismus global erstarkt, ist das eine beiläufige Machtdemonstration dystopischen Ausmaßes.

Zunächst: Was gilt überhaupt als Politik? Darf ich noch ein Publikum haben, wenn ich über Frauenrechte rede? Wird die Reichweite beschnitten, wenn ich Rassismus oder Homophobie kritisiere? Die Ausbeutung von Arbeiter:innen? Ist es Politik, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen? Welches Grundrecht algorithmische Reichweite verdient, entscheidet jetzt Gottkanzler Zuckerberg höchstpersönlich.

Erinnern tut mich das Ganze an die Serie „Avatar: Der Herr der Elemente“. In der zweiten Staffel schaffen die Protagonisten der Serie es endlich nach Ba Sing Se, in die uneinnehmbare Stadt. Draußen tobt ein Krieg, doch hinter den hohen Mauern herrscht Frieden. Schnell finden die Reisenden heraus, dass dieser Frieden von einem ominösen Geheimdienst gesichert wird, der jede Erwähnung des Krieges verfolgt und unterdrückt. In einer absolut schaurigen Szene wird einer von ihnen gekidnappt und einer Gehirnwäsche unterzogen: „Du bist in Sicherheit“, sagt ein schattenhafter Agent. Und dann immer wieder: „Es gibt keinen Krieg innerhalb dieser Mauern. Es gibt keinen Krieg in Ba Sing Se.“

Jenseits des Gehirnwäsche-Dings ist das exakt, was Instagram und Threads wollen: Eine Filterblase, eine sterile Scheinutopie. Draußen tobt Krieg und Krise, drinnen tanzt Jimmy Kimmel zu Peanut Butter Jelly Time. Affiliate link in bio/Bitte nutzt meinen Code! Sie wollen bunter Shopping-Kanal sein, keine graue Nachrichtensendung. Doch muss man fragen: Was von beidem brauchen wir derzeit mehr? Bitte nicht antworten.

Der entscheidende Unterschied zwischen Ba Sing Se und Instagram/Threads liegt darin, dass die Plattformen nichts verheimlichen müssen. Sie erlauben zwar, dass man die Empfehlungen in den Einstellungen wieder reaktivieren kann, aber sämtliche Forschung zu solchen Dingen zeigt, dass die meisten Nutzer:innen Voreinstellungen einfach übernehmen – einen Standard zu definieren, ist pure Macht.

Warum hat Meta (Mutterkonzern von Facebook, Instagram und Threads) diese Macht? Weil sie gelogen haben. Anfangs versprachen sie den Nutzer:innen, dass sie alles auf den Plattformen finden könnten – Freund:innen, Familie, Artikel und mehr. Das war eine Lüge. Den Medien versprachen sie ein Publikum. Auch das war eine Lüge. Sie haben sich parasitär in das globale Informationsökosystem gegraben, indem sie sich als reine Vermittler ausgegeben haben, die einfach nur Menschen mit Inhalten und anderen Menschen verbinden wollen. Das war die größte Lüge. Jetzt wollen Instagram und Threads vollständig die Luft abdrehen und Millionen Stimmen ersticken, die sie unter falschen Versprechungen von sich abhängig gemacht haben.

Eines stimmt: Politik sollte tatsächlich nicht in dem derzeitigen Maße von Algorithmen abhängig sein. Die Lösung hierfür ist aber nicht, Politik einfach einzustellen, sie abzuschalten, nachdem man sich knapp 20 Jahre lang als großer Vermittler positioniert und mediale Alternativen aktiv ausgestochen und geschwächt hat. Die Lösung hierfür ist: Meta zerschlagen, Facebook, Instagram und Threads enteignen und kollektiv als die Art von globaler öffentlicher Infrastruktur verwalten, die sie längst ist. Kein privater Akteur sollte ein solches Maß an Kontrolle haben. Etwas, das das Leben und das Miteinander so vieler Menschen auf Knopfdruck verändern kann, muss demokratischer gelenkt sein. Zumindest in einer idealen Welt.

Doch leider wird auf kurze Sicht nichts dergleichen passieren. Daher: Folgt politischen Accounts! Sucht euch alternative Kanäle! Vernetzt und organisiert euch abseits der Kontrolle der Silicon-Valley-Milliardäre! Und zwar heute, nicht bald. Denn dieses Mal kann man die Änderungen noch abschalten. Wird nicht ausreichend protestiert, ist es bald anders.

Titus Blome beschäftigt sich in seiner Kolumne Maschinentext mit neuen Technologien.

QOSHE - Kolumne | Instagram trennt sich von Politik: Es gibt keinen Krieg in Ba Sing Se - Titus Blome
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Kolumne | Instagram trennt sich von Politik: Es gibt keinen Krieg in Ba Sing Se

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19.02.2024

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin weiß Bescheid. Was dann?

Diese Frage stellt sich derzeit wirklich, denn Instagram und Threads (beide Teil von Meta) möchten bald keine politischen Inhalte mehr algorithmisch empfehlen. In einem Jahr mit Wahlen in 60 Ländern, in denen über drei Milliarden Menschen mal mehr, mal weniger frei an die Urne treten, in dem Kriege toben und Rechtsextremismus global erstarkt, ist das eine beiläufige Machtdemonstration dystopischen Ausmaßes.

Zunächst: Was gilt überhaupt als Politik? Darf ich noch ein Publikum haben, wenn ich über Frauenrechte rede? Wird die Reichweite beschnitten, wenn ich Rassismus oder Homophobie kritisiere? Die Ausbeutung von Arbeiter:innen? Ist es Politik, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen? Welches Grundrecht algorithmische Reichweite verdient, entscheidet jetzt Gottkanzler Zuckerberg höchstpersönlich.

Erinnern tut mich das Ganze an die Serie „Avatar: Der Herr der Elemente“. In der zweiten Staffel schaffen die Protagonisten der Serie es endlich nach Ba Sing Se, in die uneinnehmbare Stadt.........

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