Die digitale Welt fühlt sich leicht an, so flüchtig und fließend – wir browsen „das Netz“, speichern Urlaubsfotos in „der Cloud“ und kommunizieren in Echtzeit über Ozeane hinweg. Der raffinierteste Trick, den der High-Tech-Westen je gebracht hat, war, sich selbst davon zu überzeugen, dass seine Technologien „immateriell“ seien – doch das ist Quatsch.

Der weltweite Traffic schießt durch nur allzu greifbare Unterseekabel, die Chips in den Servern sind aus seltenen Erden hergestellt und die Datenzentren brauchen Unmengen an Energie und Wasser für Betrieb und Kühlung. Hinter jedem Klick und Swipe im angeblich immateriellen Internet stehen komplexe Infrastrukturen und Lieferketten, Arbeiter:innenkörper, Kobalt- und Lithium-Minen, ausgestoßene Treibhausgase und mehr. Laut eines Berichts der französischen Nonprofit „The Shift Project“ war das Internet 2019 für vier Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Dieser Klima-Fußabdruck wächst jährlich um rund neun Prozent, weil neue Leute auf das Internet zugreifen oder wir es auf immer rechenintensivere Weise nutzen, zum Beispiel, indem soziale Medien von Text und Fotos auf Videos umstellen.

Das neueste Spielzeug der Tech-Unternehmen, künstliche Intelligenz, setzt dem Ganzen die Krone auf: Schätzungen zufolge verbraucht allein ChatGPT an einem Tag so viel wie 17.000 US-Haushalte in derselben Zeit. Und laut OpenAI hat sich die Rechenkapazität, die das Training der größten KI-Modelle benötigt, seit 2012 alle dreieinhalb Monate verdoppelt. Wächst der KI-Verbrauch weiter in dieser Geschwindigkeit, könnte KI schnell zu einer der klimaschädlichsten Technologien der Welt werden. Um diesen Energiehunger zu stillen und dabei nicht die gesamte Erde niederzubrennen, haben sich Tech-Unternehmer wie Sam Altman oder Bill Gates nun eine Lösung überlegt: Atomkraft.

Sie träumen von sogenannten Small Modular Reactors (SMR). Die sollen kleiner, billiger und sicherer sein als herkömmliche Reaktoren und auch weniger Endmüll produzieren. Sie können in Fabriken hergestellt und dann verschifft werden, was die Produktion vereinfacht und beschleunigt. Der Energie-Output wäre natürlich kleiner, doch man könnte sie in Masse produzieren und hätte somit eine saubere Lösung für das Energieproblem künstlicher Intelligenz (und womöglich der Welt im Allgemeinen), soweit die Theorie.

In der Praxis sieht es vollständig anders aus: verschiedene Start-Ups, die SMRs bauen wollten, sind inzwischen fehlgeschlagen, die Kosten sind vielerorts explodiert, die relative Sauberkeit wurde infrage gestellt und die relative Sicherheit gegenüber herkömmlichen Atomkraftwerken wird dadurch untergraben, dass es statt einem einzigen großen Reaktor nun viele kleine und verteilte Reaktoren gäbe. Ein einzelner mag für sich genommen sicherer sein, durch ihre schiere Menge und Ausbreitung könnten sie jedoch ähnliche Risiken erzeugen. Derzeit scheint es daher vielen noch immer sinnvoller, sich auf große Reaktoren zu konzentrieren.

Um SMRs zu einer möglichen Lösung für das KI-Energieproblem zu machen, bräuchte es zudem Milliarden Dollar an Kapital und Jahre oder eher Jahrzehnte, in denen kluge Köpfe sich nur auf ihre Entwicklung konzentrieren. Genug Zeit, um zu Fragen: Ist es das wirklich wert? Ist KI so wichtig, dass wir so viel Zeit, Kapitel und Energie nicht nur in ihre Entwicklung, sondern auch in ihre benötigte Infrastruktur stecken sollten?

Google DeepMind verspricht, dass KI den Klimawandel lösen wird, auf eine diffuse, futuristische Weise. Doch KI hat große Probleme und Altman, Gates und Co. sind der Meinung, dass eine weitere Technologie diese auf eine ebenso diffuse, futuristische Weise lösen wird. Es schichtet sich Zukunftsversprechen über Zukunftsversprechen, bis man irgendwann nicht mehr die Gegenwart sehen kann, in der der Klimawandel längst reales Leid verursacht, das wir verhindern sollten. Atomkraft kann Teil einer effektiven Energiewende sein, doch stapelt sich nur noch Technofix auf Technofix, muss man sich wirklich irgendwann die Frage stellen: Helfe ich hier irgendwem oder stelle ich nur die Investoren zufrieden? SMRs gehören bislang in die zweite Kategorie.

Titus Blome beschäftigt sich in seiner Kolumne Maschinentext mit neuen Technologien.

QOSHE - Kolumne | Kleine Atomkraftwerke für KI-Energiehunger? Zu viel Zukunft bringt nichts - Titus Blome
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Kolumne | Kleine Atomkraftwerke für KI-Energiehunger? Zu viel Zukunft bringt nichts

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15.04.2024

Die digitale Welt fühlt sich leicht an, so flüchtig und fließend – wir browsen „das Netz“, speichern Urlaubsfotos in „der Cloud“ und kommunizieren in Echtzeit über Ozeane hinweg. Der raffinierteste Trick, den der High-Tech-Westen je gebracht hat, war, sich selbst davon zu überzeugen, dass seine Technologien „immateriell“ seien – doch das ist Quatsch.

Der weltweite Traffic schießt durch nur allzu greifbare Unterseekabel, die Chips in den Servern sind aus seltenen Erden hergestellt und die Datenzentren brauchen Unmengen an Energie und Wasser für Betrieb und Kühlung. Hinter jedem Klick und Swipe im angeblich immateriellen Internet stehen komplexe Infrastrukturen und Lieferketten, Arbeiter:innenkörper, Kobalt- und Lithium-Minen, ausgestoßene Treibhausgase und mehr. Laut eines Berichts der französischen Nonprofit „The Shift Project“ war das Internet 2019 für vier Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Dieser Klima-Fußabdruck wächst jährlich um rund neun Prozent, weil neue Leute auf das Internet zugreifen oder wir es auf immer........

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