Auch wenn man sich am Rosa-Luxemburg-Platz an die Funktionsbezeichnung „der frühere Fraktionschef Dietmar Bartsch“ wohl immer noch gewöhnen muss: Das Karl-Liebknecht-Haus wird durchgeatmet haben, als das Karlsruher Urteil vorlag. Das Land Berlin muss die Bundestagswahl vom September 2021 demnach im kommenden Februar in einem noch etwas größeren Umfang wiederholen, als der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossen hatte.

Doch zugleich ist wohl eins klar: Die Nachwahlen in einigen Wahllokalen der Bezirke Treptow und Lichtenberg, deren Direktmandate für Gregor Gysi und Gesine Lötzsch die Partei im Verein mit dem Leipziger Mandat von Sören Pellmann in den Bundestag gehoben hatten, erreichen kaum ein für die Partei gefährliches Ausmaß. So sehen es zumindest Beobachter wie der ARD-Wahlexperte Frank Bräutigam – und auch der frühere Fraktionsvorsitzende selbst: Klar sei nun, so Bartsch, dass „wir im Bundestag bleiben und unsere Aufgabe als soziale Opposition weiter wahrnehmen“.

Das ist eine gute Nachricht für die Partei Die Linke, für die in Gründung befindliche Partei rund um Sahra Wagenknecht und auch für die politische Öffentlichkeit im Land. Die erstgenannte ist der Verlegenheit enthoben, nur Wochen nach dem endgültigen Vollzug ihrer Spaltung gleich in einer existenziellen Kampagne mit unsicherem Ausgang zu stehen, mitten im Winter und noch dazu in einer seltsam perforierten Landschaft, in der mitunter die eine Straßenseite die Wahl haben wird und die andere nicht.

Die künftige Wagenknecht-Partei derweil darf als solche an der Wiederholungswahl nicht teilnehmen, weil sie 2021 noch nicht auf dem Zettel stand, hat aber dennoch Grund zur Erleichterung: Sie kommt um die Absurdität herum, der Linken nun noch einmal die Daumen drücken zu müssen – denn die Ex-Linke-Bundestagsmandate bleiben auch so erhalten, die ihr politisches Startkapital für die Bundestagswahl von 2025 darstellen. Und bei aller Kritik am bisherigen Auftreten der Linkspartei in der laufenden Legislatur ist es ein Segen, dass im Februar nicht etwa ein Parlament mit ausschließlich liberal-konservativer und stramm rechter Opposition droht.

Doch ist diese Existenzfrage nur verschoben und nicht aufgehoben. Es wird sich zwar nun nicht schon im Februar zeigen müssen, ob Lötzsch und Gysi ihre Ost-Berliner Direktmandate auch nach der Abspaltung einer Wagenknecht-Partei gewinnen können. Doch mit Blick auf die Bundestagswahl von 2025 stellt sich die Frage nach dem Osten umso dringlicher – denn jene Grundmandats-Klausel, die bisher der Linkspartei aufgrund ihrer Promi-Hochburgen in ostdeutschen Großstadtumfeldern auch unterhalb der Fünfprozenthürde eine bundespolitische Bedeutung quasi garantierte, wurde im vergangenen März abgeschafft.

Auch wenn der Osten für die Partei nicht mehr so allentscheidend sein mag wie in früheren Zeiten, wird ein gutes Abschneiden im einstigen PDS-Stammland im Kampf um die Fünfprozenthürde auch weiterhin wichtig sein. Auf der Pressekonferenz zum Karlsruher Urteil unterstrich Bundesgeschäftsführer Tobias Bank zwar selbstbewusst die Loyalität des Ostens, wo sich noch keine „namhaften“ Seitenwechsel ankündigten. Um die Stimmberechtigten wird man trotzdem kämpfen müssen, gerade auch gegen Wagenkecht, wenn die denn antreten sollte. Drei Schlagworte gab Bank seiner Partei mit in den Berliner Teilwahlkampf: Soziale Gerechtigkeit, Frieden und Klimaschutz. Vor allem das zweite bleibt angesichts der jüngeren Debattenlage in der Partei wichtig, aber schwierig – nicht nur, aber vielleicht besonders im Osten.

Dass die Partei in einer Situation des „Aufwinds“ in den Berliner Winterwahlkampf gehe, begründete Bank wie das Berliner Führungsduo Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer nicht nur mit der verbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Ampel-Regierung. Sondern auch mit den bundesweit 3000 Neueintritten seit dem Bruch mit Wagenknecht, von denen allein 800 auf Berlin entfielen. So wird diese seltsame Teilwahl auch zu einem ersten Test in der Frage, ob diese Eintrittswelle sich an den Urnen spiegelt – oder ob die Stimmen recht behalten, die mit Skepsis reagierten, als etwa im November mehrere hundert „Linksradikale“ ihren Parteibeitritt ankündigten: Solche Initiativen, so hörte man damals zumindest unter der Hand nicht selten, könnten auch zu einem „Aktivist*innen-Überschuss“ führen, in dessen Folge sich die Partei womöglich inhaltlich sehr zuspitze, aber in der Bevölkerungsbreite an Wirkung verliere.

Vielleicht das günstigste an der Situation ist es aus Sicht der Linkspartei daher, dass die Berliner Februarwahl mehr eine Art geschütztes Experimentierfeld bieten wird, aus dem sich lernen lässt, als wirklich eine machtrelevante Auseinandersetzung zu sein. Sollte es gut gehen, wäre das immerhin ein Mutmacher mit Blick auf das Kommende – auch wenn Berliner Erkenntnisse für die bundesweiten Verhältnisse nur eingeschränkte Aussagekraft besitzen.

QOSHE - Bundesverfassungsgericht | Vorläufiges Aufatmen: Die Linke und die Berliner Wiederholungswahl - Velten Schäfer
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Bundesverfassungsgericht | Vorläufiges Aufatmen: Die Linke und die Berliner Wiederholungswahl

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19.12.2023

Auch wenn man sich am Rosa-Luxemburg-Platz an die Funktionsbezeichnung „der frühere Fraktionschef Dietmar Bartsch“ wohl immer noch gewöhnen muss: Das Karl-Liebknecht-Haus wird durchgeatmet haben, als das Karlsruher Urteil vorlag. Das Land Berlin muss die Bundestagswahl vom September 2021 demnach im kommenden Februar in einem noch etwas größeren Umfang wiederholen, als der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossen hatte.

Doch zugleich ist wohl eins klar: Die Nachwahlen in einigen Wahllokalen der Bezirke Treptow und Lichtenberg, deren Direktmandate für Gregor Gysi und Gesine Lötzsch die Partei im Verein mit dem Leipziger Mandat von Sören Pellmann in den Bundestag gehoben hatten, erreichen kaum ein für die Partei gefährliches Ausmaß. So sehen es zumindest Beobachter wie der ARD-Wahlexperte Frank Bräutigam – und auch der frühere Fraktionsvorsitzende selbst: Klar sei nun, so Bartsch, dass „wir im Bundestag bleiben und unsere Aufgabe als soziale Opposition weiter wahrnehmen“.

Das ist eine gute Nachricht für die Partei Die Linke, für die in Gründung befindliche Partei rund um Sahra Wagenknecht und auch für die politische Öffentlichkeit im Land. Die erstgenannte ist der........

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