Wer die derzeitige Debatte um die Sicherung der Renten verfolgt, gewinnt den Eindruck, bei der Arbeit handle es sich hauptsächlich um ein notwendiges Übel: Arbeit erscheint vorwiegend als Mühsal und Beschwer, als Zwang und Last. Dagegen wird von der Nichtarbeit in höchsten Tönen gesprochen: Sie wird als reiner Genuss und pure Entspannung dargestellt. Hier die Plackerei, die uns hienieden auferlegt ist. Dort das Chillen, das man uns nicht gönnen will.

Der schlechte Leumund, den Arbeit hat, ist indessen genauso wenig neu wie der Traum von einer Welt, in der möglichst wenig gearbeitet wird. Ausgerechnet der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue, entwarf 1883 das Zukunftsmodell einer Gesellschaft, in der pro Tag nur noch 3 Stunden gearbeitet werden soll und der Rest des Tages mussevollen Tätigkeiten zur Verfügung steht. Schliesslich habe auch Gott nur «kümmerliche sechs Tage» gearbeitet, als er die Welt geschaffen habe, und verbringe seither die Zeit mit «Sonntagen und blauen Montagen».

Und der Ökonom John Maynard Keynes träumte in den 1930er-Jahren davon, dass sich dank des technologischen Fortschritts menschliche Arbeit mehr und mehr erübrigen würde. Er prognostizierte, dass bis 2030 die Arbeitswoche auf 15 Wochenstunden gesunken sein und man sich schöneren Dingen zuwenden können würde. Allerdings räumte Keynes ein, dass die Herausforderung dann darin liegen würde, die freie Zeit sinnvoll zu gestalten.

Weder das Modell von Keynes noch jenes von Lafargue konnten sich durchsetzen. Dies dürfte wesentlich damit zusammenhängen, dass Arbeit eben weit mehr ist als nur Broterwerb. Dass Arbeit viel zu tun hat mit Hingabe und Erfüllung, hat schon die christliche Tradition erkannt: In den mittelalterlichen Klöstern hat sich eine ausgeprägte Arbeitsmoral mit durchgetaktetem Tag von Gebet/Erholung und Arbeit entwickelt. Leben und Arbeit waren keine Gegensätze, sondern flossen ineinander. Und in der Reformation setzte sich die Einsicht durch, dass Arbeit als Dienst am Nächsten Gottesdienst sei. Laut Martin Luther gehört Arbeit zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen.

Entsprechend hat In-den-Tag-hinein-Leben in der christlichen Tradition einen schlechten Ruf: Für den Gründer des Benediktinerordens, Benedikt von Nursia, ist Müssiggang der «Feind der Seele», denn Nichtstun kann in Langeweile und depressive Verstimmung umschlagen. Und auch Luther ist überzeugt: «Von Arbeit stirbt kein Mensch, aber vom Müssiggehen kommen die Leute um.» Viele dieser Einsichten dürften auch heute noch ihre Gültigkeit haben.

Dass Arbeit Sinnressource, Leidenschaft und Hingabe bedeutet, hat nicht nur die sogenannte Glücksforschung herausgefunden. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von «Resonanzerfahrungen», die wir in der Arbeit machen. Etwa dann, wenn ein Lehrer sieht, wie seine Schülerinnen und Schüler «Feuer fangen». Oder wenn ein Maler mit Genugtuung feststellt, dass der von ihm frisch gestrichene Raum an Qualität gewonnen hat. Auch der Friseur, der der Kundin einen peppigen Haarschnitt verleiht, erfährt Tag für Tag, was er bewirken kann und wie sehr er gebraucht wird.

Die Arbeit gegen die Nichtarbeit auszuspielen, bei der Stress oftmals eher auf- als abgebaut wird, geht deshalb ins Leere. Das sollte man auch in der derzeitigen Diskussion um das Rentenalter bedenken.

Béatrice Acklin Zimmermann ist habilitierte Theologin und Geschäftsführerin des Thinktanks Liberethica.

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Ist Arbeit bloss ein notwendiges Übel?

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23.02.2024

Wer die derzeitige Debatte um die Sicherung der Renten verfolgt, gewinnt den Eindruck, bei der Arbeit handle es sich hauptsächlich um ein notwendiges Übel: Arbeit erscheint vorwiegend als Mühsal und Beschwer, als Zwang und Last. Dagegen wird von der Nichtarbeit in höchsten Tönen gesprochen: Sie wird als reiner Genuss und pure Entspannung dargestellt. Hier die Plackerei, die uns hienieden auferlegt ist. Dort das Chillen, das man uns nicht gönnen will.

Der schlechte Leumund, den Arbeit hat, ist indessen genauso wenig neu wie der Traum von einer Welt, in der möglichst wenig gearbeitet wird. Ausgerechnet der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue, entwarf 1883 das Zukunftsmodell einer Gesellschaft, in der pro Tag nur noch 3 Stunden gearbeitet werden soll und der Rest des Tages mussevollen Tätigkeiten zur Verfügung steht. Schliesslich habe auch Gott nur........

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