«Das Volk ist meine Chefin.» Bereits nach dreimonatiger Amtszeit ist klar: SP-Bundesrat Beat Jans hat den prägnanten Satz in seiner Antrittsrede nicht einfach dahergeredet. Er meint ihn genauso. Der Satz ist sein Mantra.

Wenn Jans in die Mikrofone spricht, richtet er sich nicht an seine Partei, nicht an die Verwaltung, nicht an die politische Konkurrenz. Er richtet sich an die Bevölkerung, spiegelt deren Sorgen und Ängste, benennt Probleme im Asylbereich offen. Das kommt gut an – bereits jetzt ist Jans gemäss unserer repräsentativen Umfrage der beliebteste Bundesrat.

Mit seiner Kommunikation und seinem Vorgehen unterscheidet sich Jans stark von den Vorgängerinnen im Amt, die das Justiz- und Polizeidepartement lediglich als Trostpreis empfanden und die schwierige Debatte um das Asylwesen defensiv führten. Karin Keller-Sutter (FDP) legte den Fokus stattdessen auf die häusliche Gewalt, Simonetta Sommaruga (SP) auf die Gleichstellung, und bei Elisabeth Baume-Schneider (SP) war in ihrem einjährigen Gastspiel kein Schwerpunkt zu erkennen.

Anders Beat Jans: Er überrascht mit der eindeutigen Priorisierung des Asylbereichs. Bereits in den ersten Wochen besuchte er mit den Bundesasylzentren in Chiasso und Boudry zwei Brennpunkte des Schweizer Asylwesens. Ebenfalls kurz nach Amtsantritt verkündete er die Ausweitung der in Zürich getesteten 24-Stunden-Verfahren auf alle Bundesasylzentren. Sie gelten für Asylsuchende mit geringen Aufnahmechancen. Und Jans machte klar, dass die Behörden künftig härter gegen jene jungen Maghrebiner vorgehen werden, die Asylzentren als Wochenendunterkünfte missbrauchen.

Der unerwartete Fokus hinterlässt seine Gegner perplex. Die SVP hatte namentlich Simonetta Sommaruga über Jahre heftig attackiert – obwohl sie die Asylverfahren deutlich beschleunigt hatte. Jetzt fällt der Partei in der Not nichts Besseres ein, als Jans einen «Ankündigungsminister» zu nennen. Nur: Was kann ein Bundesrat in den ersten 100 Tagen im Amt anderes tun, als seine Prioritäten zu eruieren und entsprechende Projekte aufzugleisen? Jans’ proaktives Vorgehen ist insofern auch ein Experiment: Wird es ihm als linkem Bundesrat mit unverblümter Kommunikation und unerschrockenen Massnahmen gelingen, der SVP im Asylthema den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Dass die Frage überhaupt im Raum steht, irritiert wiederum Jans’ eigene Partei. Man habe hier eine strategische Differenz, kritisieren die SP-Chefs Mattea Meyer und Cédric Wermuth öffentlich. Verschärfungen hätten keinen Einfluss auf die Anzahl Menschen, die in der Schweiz Schutz suchten. Doch auch dieser Konflikt kann Jans potenziell nützen. Je parteiunabhängiger Bundesräte agieren, desto glaubwürdiger können sie für das Wohl des gesamten Landes einstehen.

Womit die SP allerdings recht hat: Die grossen Fluchtbewegungen lassen sich aus der kleinen Schweiz nicht steuern. Kriege, Konflikte und Armut werden auch künftig bestimmen, wie viele Menschen hier Asyl suchen. Gestalten lassen sich allerdings die Aufnahme-, Wegweisungs- und Integrationsmodalitäten. Hier liegen denn auch einige von Jans’ grössten Herausforderungen:

Ukraine: Die aktuell 65’000 Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit dem Schutzstatus S vereinfacht in der Schweiz aufgenommen wurden, müssen nun rasch besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Obwohl (im Unterschied zu anderen Asylsuchenden) von Anfang an zur Arbeit zugelassen, sind heute nur 22 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer erwerbstätig. Wenn diese Quote nicht steigt, wird die Akzeptanz in der Bevölkerung nach anfänglichem Wohlwollen sinken.

Maghreb: Algerien, Tunesien und Marokko gehören zu den wichtigsten Herkunftsländern von Asylsuchenden, obwohl die Aufnahmechancen für Maghrebiner mit 0,3 Prozent verschwindend klein sind. Diese Verfahren belasten die Asylstrukturen unnötig – umso mehr, als noch dieses Jahr 2400 Betten fehlen dürften. Zudem delinquieren viele dieser jungen Männer, Tendenz gemäss Kriminalitätsstatistik stark steigend. Neben den 24-Stunden-Verfahren müssen die Behörden kantonsübergreifend besser zusammenarbeiten, um die Kleinkriminellen schärfer zu ahnden. Zudem muss die Schweiz zusätzlich zu den bestehenden Rückübernahme- und Migrationsabkommen mit Algerien und Tunesien eines mit Marokko abschliessen.

Eritrea: Die Gesuchszahlen eritreischer Staatsangehöriger sind anhaltend hoch. Der Schweiz ist es bislang nicht gelungen, abgewiesene Asylsuchende nach Eritrea zurückzuführen. Diktator Isayas Afewerki verweigert das Gespräch. Jans muss die Bemühungen auf diplomatischem Weg intensivieren, damit die hängigen Rückführungen vollzogen werden können.

In diesen Dossiers zählbare Resultate zu erreichen und sich dabei stets die Sorgen und Ängste der Bevölkerung zur Richtschnur zu nehmen – das wird Beat Jans’ grosse Aufgabe im Amt. Der Start ist geglückt, die Sympathien sind ihm sicher, jetzt müssen rasch Ergebnisse folgen.

Fehler gefunden?Jetzt melden.

QOSHE - Dieser Bundesrat überrascht alle - Raphaela Birrer
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Dieser Bundesrat überrascht alle

7 0
06.04.2024

«Das Volk ist meine Chefin.» Bereits nach dreimonatiger Amtszeit ist klar: SP-Bundesrat Beat Jans hat den prägnanten Satz in seiner Antrittsrede nicht einfach dahergeredet. Er meint ihn genauso. Der Satz ist sein Mantra.

Wenn Jans in die Mikrofone spricht, richtet er sich nicht an seine Partei, nicht an die Verwaltung, nicht an die politische Konkurrenz. Er richtet sich an die Bevölkerung, spiegelt deren Sorgen und Ängste, benennt Probleme im Asylbereich offen. Das kommt gut an – bereits jetzt ist Jans gemäss unserer repräsentativen Umfrage der beliebteste Bundesrat.

Mit seiner Kommunikation und seinem Vorgehen unterscheidet sich Jans stark von den Vorgängerinnen im Amt, die das Justiz- und Polizeidepartement lediglich als Trostpreis empfanden und die schwierige Debatte um das Asylwesen defensiv führten. Karin Keller-Sutter (FDP) legte den Fokus stattdessen auf die häusliche Gewalt, Simonetta Sommaruga (SP) auf die Gleichstellung, und bei Elisabeth Baume-Schneider (SP) war in ihrem einjährigen Gastspiel kein Schwerpunkt zu erkennen.

Anders Beat Jans: Er überrascht mit der eindeutigen Priorisierung des Asylbereichs. Bereits in den ersten Wochen besuchte er mit den Bundesasylzentren in Chiasso und Boudry zwei........

© Der Landbote


Get it on Google Play