Zuerst die gute Nachricht: Die 15-Jährigen in der Schweiz sind krisenresistent. Sie erbringen gemäss dem neuesten Pisa-Test im internationalen Vergleich konstant überdurchschnittliche Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Trotz widriger Umstände seit der letzten Studie 2018 fallen sie in diesen Fachbereichen nicht ab und halten sich über dem Schnitt aller weltweit teilnehmenden Jugendlichen. Die Schulschliessungen während der Pandemie hatten keinen nachweislichen Negativeffekt auf die Leistungen unserer Jugend.

Das zeugt, zumal in einer komplexen und unsicheren Welt, von Resilienz, Selbstständigkeit und Agilität – und verdient Anerkennung.

Schülerinnen und Schüler sind unzureichend auf das Leben vorbereitet.

Die schlechte Nachricht lautet allerdings, dass der Anteil der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler sowohl in der Mathe (19 Prozent) als auch im Lesen (25 Prozent) zunimmt. Die Betroffenen rechnen oder lesen zu schlecht, um berufliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Oder anders gesagt: Sie sind unzureichend auf das Leben vorbereitet.

Das sollte in einem Land wie der Schweiz, dessen wichtigste Ressource die Bildung ist, zu denken geben. Und es muss politische Folgen haben. Denn das Ergebnis geht auch auf bildungspolitische Versäumnisse zurück. Nach dem Pisa-Schock Anfang dieses Jahrhunderts, als die schlechten Leseresultate die Verantwortlichen aufrüttelten, wurden zwar mit einer Offensive gezielt die Lesekompetenzen gefördert. Trotzdem gelang es nicht, die Leistungen der Jugendlichen nachhaltig zu verbessern.

Lektionen für «Deutsch als Zweitsprache» wurden abgebaut, Klassen vergrössert, mehrere Fremdsprachen parallel unterrichtet.

Später haben die Kantone sogar genau in diesem Bereich gespart und die Betreuungsqualität in den Schulen mit einem übermässigen Reformeifer eingeschränkt. Lektionen für «Deutsch als Zweitsprache» wurden abgebaut, Klassen vergrössert, mehrere Fremdsprachen parallel unterrichtet, lernschwache Schüler in die Regelklasse integriert. Das erschwert es den Lehrkräften heute, die komplexe sprachliche Entwicklung adäquat zu begleiten.

Zudem zeigt die Pisa-Studie, dass etwa die Mathe-Leistungen in Schulhäusern mit Lehrermangel signifikant schlechter sind – und die Qualifikation der Unterrichtenden den Lernerfolg erheblich beeinflusst. Auch das ist ein Alarmsignal, denn nachhaltige politische Massnahmen gegen den strukturellen Mangel an qualifizierten Lehrkräften fehlen. Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien leiden unter diesem Mangel am stärksten. Jedenfalls schneiden sie in der Mathe deutlich schlechter ab als andere 15-Jährige.

In der Pflicht sind angesichts dieser Resultate aber auch die Eltern. Für alles ist die Schule nicht verantwortlich.

In der Pflicht sind angesichts dieser Resultate aber auch die Eltern: Im Unterschied zur Mathe lassen sich Lesekompetenzen im Alltag einfacher erwerben. Wenn die Eltern ihren Kindern die Freude am Lesen nicht vorleben, wenn Zeitungen, Bücher und Zeitschriften im Haushalt Mangelware sind, wenn stattdessen zerstreuende Kurzvideos auf dem Handy konsumiert werden, dann tragen sie aktiv zur Verarmung einer zentralen Kulturtechnik bei. Für alles ist die Schule nicht verantwortlich.

Die ostasiatischen Länder mit ihrem unbedingten Leistungswillen können wir auf den Pisa-Spitzenplätzen längst nicht mehr aufholen. Aber wir können mit gezielten Reformen dafür sorgen, dass sich zumindest die Schere nach unten nicht weiter öffnet. Die leistungsschwächsten 25 Prozent der Jugendlichen müssen besser gefördert werden. Es braucht Investitionen in die Frühförderung, in qualifizierte Lehrkräfte und bessere Arbeitsbedingungen, in kleinere Klassen – und einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie wichtig uns elementare Kulturtechniken überhaupt noch sind. Das sind wir unserer resilienten, selbstständigen und agilen Jugend schuldig.

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QOSHE - Ein Viertel der 15-Jährigen wird abgehängt – das muss Folgen haben - Raphaela Birrer
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Ein Viertel der 15-Jährigen wird abgehängt – das muss Folgen haben

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05.12.2023

Zuerst die gute Nachricht: Die 15-Jährigen in der Schweiz sind krisenresistent. Sie erbringen gemäss dem neuesten Pisa-Test im internationalen Vergleich konstant überdurchschnittliche Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Trotz widriger Umstände seit der letzten Studie 2018 fallen sie in diesen Fachbereichen nicht ab und halten sich über dem Schnitt aller weltweit teilnehmenden Jugendlichen. Die Schulschliessungen während der Pandemie hatten keinen nachweislichen Negativeffekt auf die Leistungen unserer Jugend.

Das zeugt, zumal in einer komplexen und unsicheren Welt, von Resilienz, Selbstständigkeit und Agilität – und verdient Anerkennung.

Schülerinnen und Schüler sind unzureichend auf das Leben vorbereitet.

Die schlechte Nachricht lautet allerdings, dass der Anteil der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler sowohl in der Mathe (19 Prozent) als auch im Lesen (25 Prozent) zunimmt. Die Betroffenen rechnen oder lesen zu schlecht, um berufliche und........

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