Man kann Ostern feiern ohne Gott. Rund um das dramatische Ab- und Auf von Folter, Todesstrafe und Auferweckung am christlichen Fest hat sich längst eine ökonomisch angetriebene Kultur entwickelt. Sie hat diese Festtage säkular verhüllt und macht sie dadurch auch jenen zugänglich, denen die Wurzeln des Osterfests nichts mehr bedeuten. Osterhasen und Eier am «Nicht-Zu-Frühstück» sind kulturell viel anschlussfähiger als das Kreuz und ein leeres Grab. Sie sind vor allem: einfach nur fröhlich.

Wenn Archäologen in 10’000 Jahren die Überreste unserer Osterbräuche finden, werden sie darauf schliessen, dass wir jeweils ein Frühlingsfest gefeiert haben, das dem wiedererblühenden Leben nach dem kalten Winter galt. Dieser Schluss liegt dem, was Auferweckung im christlichen Glauben bedeutet, gar nicht so fern: Der Apostel Paulus selbst hat das Bild eines Samenkorns, das begraben und sterben muss, bevor es erblühen kann, benutzt, um zu erklären, wie das mit der Auferweckung gehen soll.

Was mir in der säkularisierten Oster-Variante fehlt, liegt nicht im Bereich der Lebendigkeit und Freude. Unser Osterfest im Frühling beinhaltet auch diese Leichtigkeit. Was mir fehlt, ist die Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen. Auf den Frühling nach dem Winter muss man nicht hoffen. Er kommt Jahr für Jahr.

Leben und Lebendigkeit folgen einem zyklischen Lauf, orientiert an Jahreszeiten. Angesichts der alltäglichen Gewalt und Ungerechtigkeit ist mir das zu banal. Blumen verblühen, Schmetterlinge sterben und verwesen. Mutiges Leben zerbricht an der Willkür der Despoten und Diktatoren dieser Welt. Kein Frühling bringt uns dieses Leben zurück.

Darum steht in der christlichen Ostertradition zwischen Karfreitag – Folterung und Tod – und Ostern – Auferweckung und Hoffnung – der Karsamstag. Er trifft, was ich empfinde, wenn ich Zeitung und Bibel lese: Da ist die Wirklichkeit menschlicher Grausamkeit und menschlichen Leids. Der Sohn Gottes, der vor seinem Tod schrie: «Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?» liegt selbst geschunden, verspottet und ermordet im Grab. Es scheint, als könnte nichts und niemand das ändern. Für die Jüngerinnen und Freunde Jesu war Ostern an diesem ersten Karsamstag völlig unvorstellbar.

Seit dem ersten Ostersonntag hat sich der Karsamstag aber verwandelt. Er wird in der Schwebe gehalten, von dem was ist und dem, was sein könnte, sein sollte, werden wird. Menschen, die sich im Karsamstag befinden, sind selbst in dieser Schwebe: Ihre Krankheit, ihre Sorgen und ihre Angst vor dem Tod sind wirklich. Aber diese Wirklichkeiten sind nicht mehr das, was sie bestimmt. Im Gefängnis der Nazis, hat Bonhoeffer geschrieben: «Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.» Nawalny hat vor Gericht erklärt, wie ihm das Wort «Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Wahrheit, denn sie werden gesättigt werden», eine Zukunft zeigt, in der er Kraft und Orientierung findet. Wer in dieser Schwebe lebt, bleibt unberechenbar und ist selbst für die Despoten und Diktatoren dieser Welt nicht zu kontrollieren.

Der Karsamstag hält die Welt offen für beides. Für die gottlose Wirklichkeit, in der wir uns oft erleben und für die Hoffnung, auf das, was jetzt noch unvorstellbar ist.

Rita Famos ist Pfarrerin und Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.

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Hoffnung in einer gottlosen Wirklichkeit

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31.03.2024

Man kann Ostern feiern ohne Gott. Rund um das dramatische Ab- und Auf von Folter, Todesstrafe und Auferweckung am christlichen Fest hat sich längst eine ökonomisch angetriebene Kultur entwickelt. Sie hat diese Festtage säkular verhüllt und macht sie dadurch auch jenen zugänglich, denen die Wurzeln des Osterfests nichts mehr bedeuten. Osterhasen und Eier am «Nicht-Zu-Frühstück» sind kulturell viel anschlussfähiger als das Kreuz und ein leeres Grab. Sie sind vor allem: einfach nur fröhlich.

Wenn Archäologen in 10’000 Jahren die Überreste unserer Osterbräuche finden, werden sie darauf schliessen, dass wir jeweils ein Frühlingsfest gefeiert haben, das dem wiedererblühenden Leben nach dem kalten Winter galt. Dieser Schluss liegt dem, was Auferweckung im christlichen Glauben bedeutet, gar nicht so fern: Der Apostel Paulus selbst........

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