© picture alliance / Metodi Popow/M. Popow

GDL-Chef Claus Weselsky darf mit seinen Bahnstreiks nicht länger das halbe Land in Geiselhaft nehmen. Die Politik muss endlich handeln. Mit einem vorgeschriebenen Notbetrieb.

Heute, 16:13 Uhr

Eines muss man Claus Weselsky lassen. Er hat sich ehrlich gemacht. Er zielt schon lange auf den größtmöglichen Schaden für Bahnkunden, statt sie so gut es geht zu schützen. Inzwischen spricht er das auch offen aus.

„Damit ist die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“, sagte Weselsky, als er vergangene Woche Wellenstreiks ankündigte. In immer kürzeren Abständen sollen seine Lokführer die Arbeit niederlegen – mit immer kürzeren Ankündigungsfristen. Das Ziel: Niemand soll sich mehr auf die Bahn verlassen können.

Weselsky drangsaliert die Bürger und die Wirtschaft dieses Landes mit Ungewissheit. Trotzdem haben Arbeitsgerichte in zwei Instanzen die Wellenstreiks erlaubt. Es ist deshalb Zeit, dass die Bundesregierung einschreitet. Sie darf der Nichts-geht-mehr-Strategie des GDL-Chefs nicht tatenlos zusehen. Es wird Zeit, das Streikrecht anzupassen.

Die kritische Infrastruktur Eisenbahn muss auch in Streikzeiten halbwegs zuverlässig funktionieren. Fahrgastvertreter fordern schon lange ein Gesetz, dass die Gewerkschaften verpflichtet, Streiks bei Bus und Bahn rechtzeitig anzukündigen und ein Mindestangebot aufrechtzuerhalten. Einen verpflichtenden Notbetrieb gibt es schon bei Streiks in Krankenhäusern. Weselskys Verhalten zeigt, dass das auch im Verkehrssektor bitter nötig ist.

Das Grundgesetz und Arbeitsgerichte haben Gewerkschaften bei der Einberufung von Arbeitskämpfen zurecht viel Spielraum eingeräumt. Sie brauchen Streiks, um den Lohnforderungen der Arbeitnehmer Nachdruck zu verleihen. In vielen Branchen ist die Macht der Gewerkschaften heute leider nicht zu groß, sondern zu klein.

Eine weitgehende Einschränkung des Streikrechts wegen Weselsky wäre daher unverhältnismäßig. So würde etwa eine verpflichtende vorherige Schlichtung – wie sie die Mittelstandsunion fordert – Streiks die Wucht nehmen.

Aber Arbeitskämpfe sollten sich immer gegen das bestreikte Unternehmen richten, nicht primär gegen die Bürger und unbeteiligte Betriebe. Deshalb zwingt Weselsky die Politik nun zum Handeln. Schon aus Selbstschutz sollte die Ampelkoalition bei Streiks in der kritischen Infrastruktur die Gewerkschaften zu einer gewissen Rücksicht auf die Bevölkerung zwingen.

Denn Weselsky versucht nichts anderes, als die Politik zu erpressen. Er will mit seinen Wellenstreiks so großen Unmut bei den Bürgern erzeugen, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Bahnvorstand zwingen, rasch einzulenken. Ein verpflichtendes Notangebot in der kritischen Infrastruktur wären das Signal an Weselsky und seine Nachahmer, dass die Politik nicht erpressbar ist.

Die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bahn gibt es eigentlich nicht her, dass Weselsky eine deutliche Lohnerhöhung und zugleich eine Arbeitszeitverkürzung fordert. Das Unternehmen fährt im Güterverkehr hohe Verluste ein, erwirtschaftet im Regionalverkehr eine rote Null und hat im Fernverkehr absehbar ein Riesenproblem. Denn die DB hat Hunderte zusätzliche ICE bestellt, obwohl das angeschlagene Netz eigentlich nicht mehr Bahnverkehr verkraftet.

Trotzdem stellt Weselsky Forderungen auf, die über die ohnehin hohen Abschlüsse anderer Gewerkschaften in der letzten Zeit noch hinausgehen. Das ist sein gutes Recht. Dann muss er aber mit Widerstand seiner Verhandlungspartner rechnen.

Bei einer funktionierenden Sozialpartnerschaft achten die Gewerkschaften selbst darauf, dass ihre Forderungen für das betroffene Unternehmen tragfähig bleiben. Schließlich müssen die Firmen die geforderten Löhne danach auch erwirtschaften können. Doch gilt diese Regel auch bei Staatskonzernen?

Wohl nicht ohne Grund konzentrieren sich Arbeitskämpfe immer mehr auf die kritische Infrastruktur. Die Politik sollte den Gewerkschaften deshalb nun ein wichtiges Signal mitgeben: Kämpft für hohe Löhne! Aber legt dabei nicht das öffentliche Leben lahm! Für die Bahn sind auch rechtzeitig angekündigte Streiks schmerzhaft, für die Fahrgäste aber sind sie erträglicher.

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Reformiert das Streikrecht! : Der Staat darf sich von Weselsky nicht erpressen lassen

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12.03.2024

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GDL-Chef Claus Weselsky darf mit seinen Bahnstreiks nicht länger das halbe Land in Geiselhaft nehmen. Die Politik muss endlich handeln. Mit einem vorgeschriebenen Notbetrieb.

Heute, 16:13 Uhr

Eines muss man Claus Weselsky lassen. Er hat sich ehrlich gemacht. Er zielt schon lange auf den größtmöglichen Schaden für Bahnkunden, statt sie so gut es geht zu schützen. Inzwischen spricht er das auch offen aus.

„Damit ist die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“, sagte Weselsky, als er vergangene Woche Wellenstreiks ankündigte. In immer kürzeren Abständen sollen seine Lokführer die Arbeit niederlegen – mit immer kürzeren Ankündigungsfristen. Das Ziel: Niemand soll sich mehr auf die Bahn verlassen können.

Weselsky drangsaliert die Bürger und die Wirtschaft dieses Landes mit Ungewissheit. Trotzdem haben Arbeitsgerichte in zwei Instanzen die Wellenstreiks erlaubt. Es ist deshalb Zeit, dass die Bundesregierung einschreitet. Sie darf der Nichts-geht-mehr-Strategie des........

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