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Ein unberechenbarer Wladimir Putin und ein genauso unberechenbarer Donald Trump: Deutschland muss seine Sicherheitsarchitektur überdenken. Viel Zeit bleibt nicht.

Heute, 15:15 Uhr

Debatten um atomare Aufrüstung sind riskant. Sie können als Provokation verstanden werden und zu schwer kalkulierbaren Reaktionen führen, sie machen die Welt nicht unbedingt zu einem sichereren Ort. Und sie können Koalitionen sprengen. Das musste das Regierungsbündnis von SPD und FDP Anfang der 80er Jahre erfahren, als es um die Stationierung von Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen ging. An der Frage des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses zerbrach damals die sozialliberale Koalition.

Und doch muss die Atomwaffen-Debatte, angestoßen jüngst durch die Sozialdemokratin Katarina Barley, wieder geführt werden. Sie ist die angemessene Reaktion auf eine neue Realität, der sich verantwortungsvolle Politik nicht verweigern darf. Wer schützt uns in Zukunft? Die Frage muss man stellen, jetzt.

Die Bedrohungslage ist seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine klar. Russlands Präsident Wladimir Putin greift das Land unvermindert an und er macht auch keinen Hehl daraus, dass weitere Kriege folgen könnten. Dass Russland unter Putin versuchen wird, seinen territorialen Machtanspruch weiter auszubauen, darauf muss Europa und auch Deutschland vorbereitet sein.

Die militärische und atomare Abschreckungskraft der Nato, getragen vor allem von den USA, garantierte lange bestmöglichen Schutz für ihre Mitgliedsländer. Diesen Schutz stellt Donald Trump nun infrage. Seine Drohung, die USA werde manchen Ländern den Beistand verweigern, muss Europa beunruhigen. Denn wird Trump noch einmal US-Präsident, könnte er Ernst machen.

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Das hätte dramatische Folgen. Deutschland und Europa wären auf sich allein gestellt. Dieser fundamentale Bruch mit allem, was in den vergangenen 75 Jahren aufgebaut wurde, ist kein politisches Hirngespinst mehr.

Verantwortungsvolle Politik bedeutet heute, dieses Szenario in Betracht zu ziehen. Europa, das die Gefahr durch Putin lange unterschätzte, sollte diesen Fehler bei Trump nicht wiederholen. Es wäre naiv zu glauben, dass es unter Trump nicht so schlimm kommen werde. Auf Hoffnung allein kann Sicherheitspolitik nicht bauen.

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Die Zeitenwende gilt eben nicht nur für die eigenen Militärausgaben, sondern auch für die Frage, welche Sicherheitsstruktur eigentlich angemessen ist.

Doch wie kann eine Antwort aussehen? Deutschland hat sich in den Zwei-Plus-Vier-Verträgen zur deutschen Einheit verpflichtet, keine eigenen atomaren, biologischen oder chemischen Waffen zu besitzen. Davon sollte die Bundesregierung auch nicht abrücken. Sich aber nur auf Frankreich zu verlassen, das nach dem Ausscheiden Großbritanniens das einzige EU-Land mit Atomwaffen wäre, ist auch keine Lösung.

Zwar hat Frankreichs Präsident Macron angeboten, den französischen Atomschutz auszudehnen. Aber was, wenn Macron aus dem Amt scheidet? Was, wenn wirklich die rechtsextreme Marine Le Pen in Verantwortung kommt?

Christian Tretbar ist Chefredakteur des Tagesspiegels. Er meint, dass bei allen Risiken die Debatte geführt werden muss.

Dieses Szenario ließe sich natürlich auch auf anderen Einzelstaaten übertragen. Deshalb ist der vielleicht schwierigste und mühsamste und sicher auch langwierigste Weg der beste: Nämlich eine gemeinsame europäische Militärstruktur aufzubauen, die auch einen atomaren Schutzschirm beinhaltet. Diese Lösung böte „Checks and Balance“ und Schutz für ganz Europa.

Sie müsste auch nicht das Ende der Nato bedeuten, sondern wäre eine Erweiterung, von der man hoffen kann, dass man sie nie braucht. Ihre abschreckende Wirkung böte Schutz vor einem wie Putin, der vor allem eines ausnutzt: Schwäche und Unsicherheit.

Atomraketen für Europa, – die von SPD-Spitzenkandidatin Barley angestoßene Debatte sollte unaufgeregt und gründlich geführt werden, so riskant das auch für die Ampelkoalition sein mag angesichts der unterschiedlichen Positionen dazu. Eine atomgestützte europäische und damit auch deutsche Sicherheitsarchitektur schließt eine auf Friedensinitiativen, Vermittlung und Diplomatie zielende Außenpolitik nicht aus. Im Gegenteil. Frieden schaffen ohne eigene Atomwaffen – das geht leider heute nicht mehr. Denn das eine nutzt nichts ohne das andere.

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Atomwaffen für die EU? : Wir müssen uns unabhängig machen

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14.02.2024

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Ein unberechenbarer Wladimir Putin und ein genauso unberechenbarer Donald Trump: Deutschland muss seine Sicherheitsarchitektur überdenken. Viel Zeit bleibt nicht.

Heute, 15:15 Uhr

Debatten um atomare Aufrüstung sind riskant. Sie können als Provokation verstanden werden und zu schwer kalkulierbaren Reaktionen führen, sie machen die Welt nicht unbedingt zu einem sichereren Ort. Und sie können Koalitionen sprengen. Das musste das Regierungsbündnis von SPD und FDP Anfang der 80er Jahre erfahren, als es um die Stationierung von Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen ging. An der Frage des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses zerbrach damals die sozialliberale Koalition.

Und doch muss die Atomwaffen-Debatte, angestoßen jüngst durch die Sozialdemokratin Katarina Barley, wieder geführt werden. Sie ist die angemessene Reaktion auf eine neue Realität, der sich verantwortungsvolle Politik nicht verweigern darf. Wer schützt uns in Zukunft? Die Frage muss man stellen, jetzt.

Die Bedrohungslage ist seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine klar. Russlands Präsident Wladimir Putin greift das Land unvermindert an und er macht auch keinen Hehl daraus, dass weitere Kriege folgen könnten. Dass Russland unter Putin versuchen wird, seinen territorialen Machtanspruch........

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