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Bei der Corona-Politik gab es auch falsche Entscheidungen. Das muss aufgearbeitet werden. Aber nicht, um Leugnern eine Absolution zu erteilen. Es geht darum, Fehler zu identifizieren und aus ihnen zu lernen.

Heute, 06:41 Uhr

Jens Spahn, Ex-Gesundheitsminister, hat den vermutlich wichtigsten Satz zur Corona-Politik gesagt. „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen“, sagte der CDU-Politiker im Frühjahr 2020 im Deutschen Bundestag. Es ist die Zeit der ersten Corona-Welle.

Um verzeihen zu können, muss zunächst einmal Transparenz hergestellt werden. Zum Beispiel zur Frage, ob alle Informationen der Öffentlichkeit bekannt waren und auf welcher Grundlage die Politik Entscheidungen getroffen hat. Die jüngst bekannt gewordenen Protokolle des Robert-Koch-Instituts geben erste Hinweise.

Aber schon allein die Tatsache, wie diese Protokolle an die Öffentlichkeit gelangt sind, sagt viel über die Bereitschaft zur Transparenz aus. Eine nicht unumstrittene Plattform hat auf die Freigabe erfolgreich geklagt und den veröffentlichten Protokollen auch gleich viel Interpretation mitgegeben.

Christian Tretbar ist Chefredakteur des Tagesspiegels. Er hält eine Aufarbeitung der Corona-Politik für wichtig, aber nur, um nach vorne zu kommen.

Es wäre jetzt genau richtig, wenn die Politik selbst offensiv zur Aufklärung beitragen würde und das Feld nicht Verschwörungsplattformen überlässt. Dazu bräuchte es die Bereitschaft zum Beispiel zur Errichtung einer Enquetekommission, die die Corona-Zeit politisch aufarbeiten könnte. Doch stattdessen zerstreiten sich FDP auf der einen und SPD und Grüne auf der anderen Seite über diese Frage.

Entscheidend für die Aufbereitung ist dabei das dahinterstehende Ziel. Denn es kann nicht darum gehen, allen Corona-Leugnern nachträglich eine Absolution zu erteilen. Denn bei aller Kritik an den Maßnahmen: Diese Krankheit hat vielen Menschen in Deutschland und weltweit das Leben gekostet, viele leiden bis heute an den Spätfolgen und vieles ist auch noch nicht abschließend erforscht.

Es ist also richtig, die Zeit aufzuarbeiten, auch um Risse in der Gesellschaft, die immer noch aus der Corona-Zeit resultieren, zumindest etwas zu kitten. Aber es muss nichts aufgearbeitet werden, damit irgendeine Gruppe am Ende recht gehabt hatte.

Die Politik musste Entscheidungen treffen, vor allem in den ersten Monaten der Pandemie angesichts von dutzenden Särgen, die in Bergamo durch die Stadt gefahren wurden; angesichts von überfüllten Kliniken und Ärztinnen und Ärzten am Rande der Erschöpfung. Und angesichts einer Bevölkerung, die Angst vor dem Virus hatte, wo es Sorgen und Verunsicherung gab.

Dass einige Entscheidungen falsch waren, kann man heute getrost so sehen, ohne alle Maßnahmen infrage zu stellen. An vielen Stellen wurde unnötiger und kleinlicher Bürokratismus aufgebaut, der bis heute sogar Gerichte beschäftigt. Folgekosten bei Kindern und Jugendlichen wurden unterschätzt und viele Seniorinnen und Senioren vereinsamten vielleicht mehr als sie geschützt wurden.

Fehler wurden aber nicht nur auf politischer Seite gemacht, sondern natürlich auch auf medialer. Dass der Eindruck oder das Gefühl entstehen konnte, man dürfe die Maßnahmen nicht kritisieren, ist nicht gut. Selbst wenn es faktisch nicht so war. Denn viele Entscheidungen, vor allem das bürokratische Klein-Klein, wurde sehr wohl kritisiert. Auch die Schulentscheidungen waren medial umstritten. Dennoch: Ein genauerer Blick, was einfache Kritik und was eine völlige Leugnung des Virus waren, wäre gut gewesen.

Aber auch die Kritikerinnen und Kritiker, die die Protokolle gerne nutzen, um sich bestätigt zu fühlen, sollten sich fragen, ob sie Fehler gemacht haben. Ob sie zu lauthals unterwegs waren und Ängste einfach ignoriert haben. Auch das gehört dazu.

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Und genau aus dieser Erfahrung heraus, sollte man versuchen, die Fehler nicht zu wiederholen und plötzlich alles zu verdammen, was damals entschieden wurde. Ja, es war die Politik, die entschieden hat und nicht eine Experten-Exekutive. Und das ist auch gut so, denn es ist ihr Job in einer Demokratie.

Es ist also richtig, die Zeit aufzuarbeiten, auch um Risse in der Gesellschaft, die immer noch aus der Corona-Zeit resultieren, zumindest etwas zu kitten. Aber es muss nichts aufgearbeitet werden, damit irgendeine Gruppe am Ende recht gehabt hatte. Sondern man muss die Fehler benennen, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein.

Es muss darum gehen, Lehren zu ziehen. Sind unsere Krankenhäuser heute besser aufgestellt? Haben wir mehr und besser bezahltes Pflegepersonal? Haben wir genug wissenschaftliche Power, um neue Pandemien fundiert zu begegnen?

Haben wir ein Umfeld, indem Impfstoffe schnell entwickelt werden können? Sind die politischen Entscheidungsprozesse auf solche Lagen vorbereitet? Alles Fragen, die es zu beantworten gilt.

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Debatte um Corona-Protokolle : Bei der Aufarbeitung der Pandemiepolitik darf es nicht ums Rechthaben gehen

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26.03.2024

© Imago/photonews.at/Anna Rauchenber

Bei der Corona-Politik gab es auch falsche Entscheidungen. Das muss aufgearbeitet werden. Aber nicht, um Leugnern eine Absolution zu erteilen. Es geht darum, Fehler zu identifizieren und aus ihnen zu lernen.

Heute, 06:41 Uhr

Jens Spahn, Ex-Gesundheitsminister, hat den vermutlich wichtigsten Satz zur Corona-Politik gesagt. „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen“, sagte der CDU-Politiker im Frühjahr 2020 im Deutschen Bundestag. Es ist die Zeit der ersten Corona-Welle.

Um verzeihen zu können, muss zunächst einmal Transparenz hergestellt werden. Zum Beispiel zur Frage, ob alle Informationen der Öffentlichkeit bekannt waren und auf welcher Grundlage die Politik Entscheidungen getroffen hat. Die jüngst bekannt gewordenen Protokolle des Robert-Koch-Instituts geben erste Hinweise.

Aber schon allein die Tatsache, wie diese Protokolle an die Öffentlichkeit gelangt sind, sagt viel über die Bereitschaft zur Transparenz aus. Eine nicht unumstrittene Plattform hat auf die Freigabe erfolgreich geklagt und den veröffentlichten Protokollen auch gleich viel Interpretation mitgegeben.

Christian Tretbar ist Chefredakteur des Tagesspiegels. Er hält eine Aufarbeitung der Corona-Politik........

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