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Nach Jahren des Stillstands sind wir wieder auf einem guten Weg unserer Klimaziele zu erreichen. Auf europäischer Ebene spricht Deutschland mit anderer Stimme – und wird zunehmend zur Zukunftsbremse.

Heute, 15:59 Uhr

Es ist der stärkste Rückgang in Deutschland seit über dreißig Jahren, den das Umweltbundesamt an diesem frühlingshaften Freitag verkündet hat. 2023 wurden über zehn Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr. Bis 2030 könnten es 64 Prozent weniger sein als, zu Zeiten der Wiedervereinigung, rechnen die Klimaexperten vor.

Nie war die Einhaltung der deutschen Klimaziele wahrscheinlicher. Und doch ist die frohe Botschaft trügerisch.

Daran, dass die Emissionen stärker sinken als unter den Vorgängerregierungen, hat die Ampel-Koalition einen entscheidenden Anteil. Die Wärmepumpe hat ihren Weg in die Köpfe und Keller der Republik gefunden. Vor allem werden hierzulande zurzeit aber deutlich weniger Stein- und Braunkohle sowie Erdgas genutzt, um Strom und Wärme zu erzeugen.

Das geht nur, weil Deutschland den Ausbau seiner erneuerbaren Energiequellen entschieden vorantreibt. Bei der Photovoltaik wurden die jährlichen Ausbauziele schon vor dem letzten Winter erreicht, auch beim Windkraftausbau geht es voran, wenn auch langsamer. Wasserstoffnetzwerk, CCS-Strategie, Klimaverträge – beim Klimaschutz liefert die Ampel, vor allem auf Druck der Grünen.

Felix Kiefer ist Redakteur im Wirtschaftsressort. Er sagt, beim Klimaschutz wird die Ampel ihrem Anspruch, eine Fortschrittskoalition zu sein, zunehmend gerecht – allerdings nur auf nationaler Ebene.

Die positive Entwicklung hat allerdings auch viel mit der kriselnden Wirtschaft zu tun. Die Industrie hat ihre laut Klimaschutzgesetz vorgeschriebenen Sektorziele nur deswegen übererfüllt, weil die Firmen weniger produzieren sowie investieren und der deutsche Exportmotor stottert. Die Auftragslage ist seit Monaten schlecht. Produktions- und Finanzierungskosten sind infolge der Inflationsdynamik massiv gestiegen.

Auch im Gebäudebereich hat Deutschland seine Ziele im vergangenen Jahr nur aus dem Grund geringfügig verfehlt, dass der Winter so mild war. Dadurch und wegen der höheren Preise wurde weniger geheizt. Wenn sich Menschen das Heizen nicht mehr leisten können, ist das weniger eine Folge einer erfolgreichen, als das Zeichen einer sozial unausgewogenen Klimapolitik.

Das zeigt sich zudem vor allem im Verkehrsbereich – seit Jahren das größte Sorgenkind. Trotz weniger Güterverkehr auf der Straße hat Deutschland hier 13 Millionen Tonnen mehr Treibhausgase ausgestoßen als es sollte. Der PKW-Verkehr nimmt nicht wegen Weselskys Wellenstreiks zu, sondern weil die deutsche Verkehrspolitik seit Jahrzehnten autozentriert ist und den öffentlichen Verkehr vernachlässigt, während Diesel gegenüber anderen Kraftstoffen steuerlich begünstigt ist und Kerosin weiter gar nicht besteuert wird.

Wirksamer Klimaschutz wäre es, diese milliardenschweren klimaschädlichen Subventionen zu streichen und Menschen in Stadt und Land klimafreundliche, verlässliche öffentliche Mobilität zu ermöglichen.

Doch gerade hier offenbart sich Deutschlands Ambivalenz beim Klimaschutz. Während man in Berlin die deutschen Fortschritte feiert, bremst Deutschland in der EU bei zahlreichen Klimaschutzmaßnahmen.

Ob bei Gesetzen für mehr Umweltschutz in Lieferketten, strengen Vorgaben für den Einsatz von Rezyklaten in Verpackungen oder Quoten für Mehrwegflaschen: Deutschland profilierte sich in Brüssel und Straßburg zuletzt vor allem durch Enthaltung.

Die europäische Dekarbonisierung des Verkehrs schreitet nicht wegen, sondern trotz Deutschland voran. Das fertig verhandelte PKW-Verbrenner-Aus ab 2035 hat FDP-Verkehrsminister Volker Wissing im Januar 2023 auf den letzten Metern blockiert – und zugunsten ökologisch ineffizienter E-Fuels aufgeweicht.

Gleiches geschah im Februar dieses Jahres beim Gesetz für strengere CO₂-Regeln für schwere Nutzfahrzeuge wie LKW und Busse, die rund 30 Prozent der Treibhausgase in Europas Verkehrssektor ausmachen. Die FDP gab ihr Last-Minute-Veto erst auf, nachdem sich das Kanzleramt einschaltete und sich die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen zu einem Kompromiss zugunsten synthetisch hergestellter Kraftstoffe durchrang.

Dass Teile von von der Leyens EVP im Wahlkampf zur Europawahl zuletzt ankündigten, das Verbrenner-Aus wieder rückgängig machen zu wollen, setzt dem Trauerspiel die Krone auf. Das untergräbt nicht nur Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa, sondern gefährdet die Erreichung der europäischen Klimaziele.

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Deutschlands Ambivalenz beim Klimaschutz : Fortschritt im Inland, den die Ampel in Europa ausbremst

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15.03.2024

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Nach Jahren des Stillstands sind wir wieder auf einem guten Weg unserer Klimaziele zu erreichen. Auf europäischer Ebene spricht Deutschland mit anderer Stimme – und wird zunehmend zur Zukunftsbremse.

Heute, 15:59 Uhr

Es ist der stärkste Rückgang in Deutschland seit über dreißig Jahren, den das Umweltbundesamt an diesem frühlingshaften Freitag verkündet hat. 2023 wurden über zehn Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr. Bis 2030 könnten es 64 Prozent weniger sein als, zu Zeiten der Wiedervereinigung, rechnen die Klimaexperten vor.

Nie war die Einhaltung der deutschen Klimaziele wahrscheinlicher. Und doch ist die frohe Botschaft trügerisch.

Daran, dass die Emissionen stärker sinken als unter den Vorgängerregierungen, hat die Ampel-Koalition einen entscheidenden Anteil. Die Wärmepumpe hat ihren Weg in die Köpfe und Keller der Republik gefunden. Vor allem werden hierzulande zurzeit aber deutlich weniger Stein- und Braunkohle sowie Erdgas genutzt, um Strom und Wärme zu erzeugen.

Das geht nur, weil Deutschland den Ausbau seiner erneuerbaren Energiequellen........

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