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Die AfD normalisiert immer offener früher Unsagbares – und ihren eigenen Extremismus. Sie ist mit antidemokratischen Rechten untrennbar verknüpft. Zeit, ein Verbot ernst zu nehmen.

Heute, 18:43 Uhr

Die AfD hat den glühenden Kern ihrer Politik bisher allzu oft noch vorsichtig in Asche gehüllt. Relevante Teile der Partei wollen nun, beflügelt von den hohen Umfragewerten, nicht länger ein Geheimnis draus machen: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“

Das postete der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst X. „Deutschland den Deutschen!“ Das ist die Konsequenz dieses Satzes.

Springer reagierte mit seinem Satz auf Recherchen der gemeinnützigen Plattform Correctiv. Laut diesen sollen bei einem Treffen einflussreiche AfD-Politiker mit anderen Rechtsextremisten und dem Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, einen Plan besprochen haben. Im Fall einer Machtübernahme sollten Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland deportiert werden. Auch sogenannte „nicht assimilierte Staatsbürger“ will man durch Schikanen loswerden.

„Geheimplan“ nennen das die Rechercheure. Dabei will sich die AfD gar nicht länger verstecken. Der Rechtsextreme Sellner hat in seinem Buch „Regime Change“ seine Idee für eine, wie er schreibt, „Revolutionstheorie von rechts“ vorgelegt – und die AfD hört gut zu.

Bis vor einiger Zeit versuchte die Partei noch, Kontakte zu Neonazis und Identitären wie Sellner zumindest öffentlich zu leugnen. Heute arbeiten diese Leute in den Parlamenten für die Partei. Bei dem Treffen in Potsdam nahm der persönliche Referent von Parteichefin Alice Weidel teil. Neben dem Umsturz-Theoretiker Sellner saß auch ein verurteilter neonazistischer Gewalttäter mit am Tisch.

Es gibt weitere Beispiele für die neue Offenheit der AfD gegenüber dem eigenen Glutkern: Der EU-Spitzenkandidat der AfD Maximilian Krah tritt längst öffentlich mit rechtsextremistischen Positionen auf. Sein Buch zur Zukunft der Partei erscheint, wie auch Sellners Buch, im vom Verfassungsschutz beobachteten Antaios-Verlag.

Die AfD entwickelt hat sich hinter dem verharmlosenden Etikett des Rechtspopulismus längst zu einer rechtsextremistischen Organisation entwickelt.

Der Rechtsextremist Björn Höcke ist zu einer der einflussreichsten Figuren in der Partei geworden. Ohne ihn und sein Gefolge geht wenig in der AfD. Er hält sich nicht länger aus taktischen Gründen im Hintergrund, sondern tritt in Thüringen offensiv als Führerfigur auf.

Die AfD entwickelt hat sich hinter dem verharmlosenden Etikett des Rechtspopulismus längst zu einer rechtsextremistischen Organisation entwickelt. Nein, nicht jeder Einzelne darin mag ein Verfassungsfeind sein. Die Ideengeber sind es. Darauf kommt es bei der Bewertung an.

Für demokratische Politiker bietet sich jetzt die vielleicht letzte Chance: Es darf nicht länger zerredet werden, wer noch ein bisschen mehr Schuld an der Stärke extremer Kräfte hat. Die Schuldigen sind zweifellos zahlreich und in jedem politischen Lager vertreten. Sie sitzen in Regierung und Opposition gleichermaßen.

Stattdessen müssen die demokratischen Kräfte die AfD und ihr Vorfeld mit deren Inhalten stellen: der möglichen Vertreibung von Nachbarn und Freunden aus dem Land; der Streichung sämtlicher Agrarsubventionen für die Bauern; dem Austritt aus der EU. Die Parteien müssen zudem dort präsenter werden, wo die AfD schon jetzt die politische Hegemonie hat – das betrifft insbesondere den Osten.

Die Provokation von gestern ist das Normal von heute, die von heute das neue Normal von morgen.

Schließlich muss ernsthaft über ein mögliches Verbotsverfahren beraten werden. Das deutsche Grundgesetz sieht dieses Verfahren explizit vor, wenn Parteien oder ihre Anhänger „die freiheitlich demokratische Grundordnung beseitigen oder beeinträchtigen wollen“.

Wie ist das Versprechen massenhafter Vertreibung von Menschen aus dem Land zu werten? Warum trifft sich ein enger Berater der Parteivorsitzenden mit einem Revolutionstheoretiker wie Martin Sellner? Wer will noch bestreiten, dass diese Fragen den Kern unserer Ordnung berühren?

Die Strategie der AfD ist es, die Grenzen des Sagbaren zu verrücken. Der Identitäre Sellner nennt das „anschlussfähige Provokation“. Die Provokation von gestern ist das Normal von heute, die von heute das neue Normal von morgen. So setzt die Partei ihre Agenda. So erscheint der zunehmend offene Rechtsextremismus in ihr zunehmend: normal.

Aber die Politik der AfD ist nicht normal. Bei allen Gefahren, die ein Verbotsverfahren bietet: Es ist das Schwert, das unser System auch als Lehre aus Nationalsozialismus und Shoah vorsieht. Eine offene Prüfung darf spätestens jetzt kein Tabu mehr sein, gerade in Deutschland.

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Jeden Tag ein bisschen rechtsextremer : Was die AfD sagt, darf nicht normal werden

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12.01.2024

© Correctiv

Die AfD normalisiert immer offener früher Unsagbares – und ihren eigenen Extremismus. Sie ist mit antidemokratischen Rechten untrennbar verknüpft. Zeit, ein Verbot ernst zu nehmen.

Heute, 18:43 Uhr

Die AfD hat den glühenden Kern ihrer Politik bisher allzu oft noch vorsichtig in Asche gehüllt. Relevante Teile der Partei wollen nun, beflügelt von den hohen Umfragewerten, nicht länger ein Geheimnis draus machen: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“

Das postete der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst X. „Deutschland den Deutschen!“ Das ist die Konsequenz dieses Satzes.

Springer reagierte mit seinem Satz auf Recherchen der gemeinnützigen Plattform Correctiv. Laut diesen sollen bei einem Treffen einflussreiche AfD-Politiker mit anderen Rechtsextremisten und dem Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, einen Plan besprochen haben. Im Fall einer Machtübernahme sollten Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland deportiert werden. Auch sogenannte „nicht assimilierte Staatsbürger“ will man durch Schikanen loswerden.........

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