Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel, hat im offenen Widerspruch zu den USA einen palästinensischen Staat nach Ende des Gazakrieges abgelehnt.

© Quelle: Abir Sultan/EPA Pool via AP/dpa

Mit klarem Widerspruch haben Deutschland, die EU und die USA auf Netanjahus Aussage reagiert, er werde einen Palästinenserstaat verhindern. Doch der Westen macht sich etwas vor, wenn er sich immer noch an diesen Strohhalm klammert: Die Zweistaatenlösung als Weg zum Frieden ist ferner denn je, kommentiert RND-Korrespondent Steven Geyer.

Empörung, Relativierung, Entnervtheit: Die Reaktionen in Europa und den USA fielen so aus, wie man sie erwarten konnte – vielleicht sogar heftiger.

Klar ist, dass es ein Affront gegen die eigenen Verbündeten war, als Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zuletzt bekräftigte, dass er einen Palästinenserstaat mit aller Kraft verhindern werde. Ein Affront war das schon deshalb, weil er damit trotz wochenlanger israelisch-amerikanischer Gespräche über das Vorgehen nach dem Gazakrieg den USA kompromisslos widersprach. Dabei gerät US-Präsident Joe Biden gerade selbst innenpolitisch unter Druck, weil er nicht stärker gegen die humanitäre Krise in Gaza vorgeht.

Die USA drängen im Gazakrieg auf eine Zweistaatenlösung. Israels Regierungschef Netanjahu lehnt das ab. Washington sieht dennoch Chancen.

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Klar ist auch, dass Amerika und Europa – und dort nicht einmal Deutschland – die Aussage Netanjahus nicht auf sich beruhen lassen können: Die Bundesregierung mahnte pro-aktiv, dass eine Zweistaatenlösung „für uns die einzige Möglichkeit“, für Frieden und Sicherheit in der Region bleibt.

US-Präsident Joe Biden griff am Wochenende zum Telefon, um Netanjahu ins Gewissen zu reden und erklärte danach, dass auch mit diesem Premier ein Palästinenserstaat möglich sei. Und der EU-Außenbeauftragte Borrell schlug sogar vor, die Zweistaatenlösung notfalls gegen den Willen Israels durchsetzen. Das klang nach gerissenem Geduldsfaden klangen.

Kein Wunder: Netanjahus Ausspruch hat die Wucht, die letzten Illusionen seiner Verbündeten zu ruinieren. Die Zweistaatlösung war der Strohhalm, an den der Westen sich klammerte, wenn es um Frieden in Nahost ging – obwohl sie immer ferner rückte: sabotiert von Netanjahus Siedlungspolitik und palästinensischen Sympathien für Hassprediger, vernachlässigt vom untätigen Europa und unerreichbar durch den beiderseitigen Unwillen zu Zugeständnissen. Es ist Zeit, die Augen zu öffnen: Der Konflikt steckt in der Sackgasse, ausweglos.

Auch wer nun die Hoffnung ventiliert, gerade die Brutalität des Hamas-Terrors vom 7. Oktober und die Heftigkeit der israelischen Vergeltung könnten einen Neustart ermöglichen, redet die Lage schön – was angesichts der Lage ein wahres Kunststück ist.

Ja, Netanjahu agiert rein innenpolitisch motiviert. Und ja, er steht massiv unter Druck. Seine Umfragewerte stürzen ab, die Israelis werfen ihm Versagen bei der Geiselbefreiung wie bei der Verhinderung des Hamas-Massakers vor. Die Ablehnung seiner Justizreform ist ebenso wenig vergessen wie der laufende Korruptionsprozess gegen ihn – und viele Israelis ahnen, dass er ein Kriegsende für seinen Machterhalt hinauszögert und wohl auch, dass er keine Ideen für eine Nachkriegsordnung hat. Schon werden die Rufe nach Neuwahlen lauter.

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Und doch scheint es westliches Wunschdenken zu sein, dass Israelis dabei ausgerechnet für einen Palästinenserstaat votieren würden. Sie haben nicht nur die menschenverachtende Gewalt der Hamas gesehen, sondern auch, wie in den Palästinensergebieten dafür applaudiert wurde. Diejenigen, die schon immer das ganze Land für sich wollten, sehen sich der Gelegenheit nun näher denn je. Und jene, die Versöhnung und Kompromiss anstrebten, fühlen sich verraten.

Selbst liberale Denker wie der israelische Historiker Tom Segev nennen die Zweistaatenlösung inzwischen „nur eine diplomatische Fiktion“, die allein auf dem Papier funktioniere: „furchtbar bequem für alle, die nicht genau wissen und nicht genau wissen wollen, was hier eigentlich los ist“. Vor Ort wisse das längst keiner mehr. Wenn zwei Völker ihre Identität durch das Land definieren, und zwar das ganze Land, würde jeder Kompromiss bedeuten, einen Teil der kollektiven Identität aufzugeben.

Aus israelischer Sicht ist der Versuch, den Konflikt zu managen statt zu lösen, zwar gescheitert. Doch die Gewalt, die aus Gaza über Israel hereinbrach, spricht auch nicht gerade dafür, den Palästinensern einen Staat zu überlassen, der dann offiziell zum sicheren Hafen von Terroristen und Milizen werden kann.

Dass schließlich auf die unvorstellbare Brutalität der Hamas am 7. Oktober keine nennenswerte Solidarisierungswelle in der Welt folgte, sondern im Gegenteil der israelische Gegenschlag sofort zu Antisemitismus und sogar einer Klage wegen Völkermords führte, dürfte auch beim Normalbürger in Israel die Kompromissbereitschaft nicht gefördert haben. Wie würde die Bevölkerung jedes anderen demokratischen Landes der Welt reagieren?

Von allen Stimmen des Wochenendes analysiert es der EU-Außenbeauftragte wohl am besten, wenn er sagt, von Israelis und Palästinensern sei kein Kompromiss mehr zu erwarten. Was Josep Borrell jedoch vorschwebt, wenn er die Zweistaatlichkeit „von außen aufzwingen“ will, ist völlig unklar.

Auf jeden Fall wäre es ein bisher unbekanntes Vorgehen – was schon deshalb problematisch ist, weil Israel eben demokratisch verfasst ist. Anders als alle Anrainer und anders als die Selbstverwaltung der Palästinenser. Man darf skeptisch sein, wie die USA sie so reformieren wollen, dass sie nach Kriegsende eine legitime Regierung für ein unabhängiges Gaza werden kann.

So liegt die Hoffnung wieder in der Hand der Israelis: Sollten sie glauben, dass die Zweistaatenlösung Sicherheit und Frieden bringt, müssten sie bei nächster Gelegenheit gegen Netanjahu und für einen Neustart stimmen. Darauf wetten sollte aber niemand.

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Nahost steckt in der Sackgasse – ausweglos

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21.01.2024

Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel, hat im offenen Widerspruch zu den USA einen palästinensischen Staat nach Ende des Gazakrieges abgelehnt.

© Quelle: Abir Sultan/EPA Pool via AP/dpa

Mit klarem Widerspruch haben Deutschland, die EU und die USA auf Netanjahus Aussage reagiert, er werde einen Palästinenserstaat verhindern. Doch der Westen macht sich etwas vor, wenn er sich immer noch an diesen Strohhalm klammert: Die Zweistaatenlösung als Weg zum Frieden ist ferner denn je, kommentiert RND-Korrespondent Steven Geyer.

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© Quelle: dpa

Klar ist auch, dass Amerika und Europa – und dort nicht einmal Deutschland – die Aussage Netanjahus nicht auf sich beruhen lassen können: Die Bundesregierung mahnte pro-aktiv, dass eine Zweistaatenlösung „für uns die einzige Möglichkeit“, für Frieden und Sicherheit in der Region bleibt.

US-Präsident Joe Biden griff am Wochenende zum Telefon, um Netanjahu ins Gewissen zu reden und erklärte danach, dass auch mit diesem Premier ein Palästinenserstaat möglich sei. Und der EU-Außenbeauftragte Borrell schlug sogar vor, die Zweistaatenlösung notfalls gegen den Willen Israels durchsetzen. Das klang nach gerissenem Geduldsfaden klangen.

Kein Wunder: Netanjahus Ausspruch hat die Wucht, die letzten Illusionen seiner Verbündeten zu ruinieren. Die Zweistaatlösung war der Strohhalm, an den der Westen sich klammerte, wenn es um Frieden in Nahost ging – obwohl sie immer ferner rückte: sabotiert........

© Die Harke


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