Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, Annette Kurschus, hat am 20. November 2023 in Bielefeld ihren Rücktritt erklärt.

© Quelle: IMAGO/epd

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) steckt in einer veritablen Führungskrise. Die Ratsvorsitzende Annette Kurschus nimmt zu Recht ihren Hut, meint Thoralf Cleven. Das mindert den Druck auf die Kirchenspitze. Doch das größte Ungemach droht der Kirche Anfang 2024.

Annette Kurschus ist eine brillante Predigerin. Vor zwei Jahren erhielt sie dafür den Ökumenischen Predigtpreis fürs Lebenswerk. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, die Theologin habe „bereits Standards dafür gesetzt, was Predigt einer Kirchenrepräsentantin etwa in öffentlicher Trauer bei Katastrophen leisten kann“. Kurschus hatte beim zentralen Trauergottesdienst für die 150 Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes 2015 im Kölner Dom gesprochen.

Kurschus’ Erfolgsgeschichte in der Evangelischen Kirche gipfelte vor genau zwei Jahren in ihrer Wahl zur Ratsvorsitzenden der EKD als Nachfolgerin von Heinrich Bedford-Strohm. Schon damals gab es Zweifel, ob die Präses der westfälischen Kirche, die nie an die Öffentlichkeit drängte, die richtige Wahl für dieses Amt war. Inzwischen weiß man: Kurschus war die falsche Frau zur falschen Zeit am falschen Ort. Leider scheitert damit nach Margot Käßmann 2010 bereits die zweite Frau in diesem Amt.

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Die 60‑Jährige betonte in ihrer persönlichen Erklärung am Montag, sie sei mit Gott und sich selbst im Reinen. Außerdem lasse sie sich ihre „Redlichkeit“ nicht absprechen. Selbstkritisch klingt das nicht, eher trotzig. Angesichts des Vorgangs, der die Kirchenmanagerin nun zu Fall brachte, wirken diese Äußerungen jedenfalls etwas befremdlich.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass bislang vieles nebulös ist. Vor einigen Tagen waren Missbrauchsvorwürfe gegen einen ehemaligen Beschäftigten des Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein öffentlich geworden. Staatsanwälte ermitteln gegen den Mann, mit dessen Familie Kurschus lange befreundet war, weil er über Jahre hinweg junge Männer sexuell bedrängt haben soll. In Siegen war Kurschus ab 1993 als Gemeindepfarrerin und später als Superintendentin tätig.

Gegenwärtig gibt es nur Vorwürfe gegen Kurschus, die unbewiesen sind. Demnach, so die Vorwürfe, habe sie schon vor vielen Jahren vom Verdacht eines sexuell übergriffigen Verhaltens gegen den Verdächtigen gewusst und geschwiegen. Bei der Synode in Ulm vorige Woche hatte die EKD-Ratsvorsitzende dies als „Andeutungen und Spekulationen“ zurückgewiesen. Doch das Gerücht war schon längst wie ein Geist aus der Flasche im Umlauf. Und Kurschus hat den Korken mit gelockert.

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Denn spätestens seit dem Frühjahr ist die Angelegenheit dem Spitzenpersonal der westfälischen Kirche bekannt gewesen. Und statt externe PR- und Rechtsberater einzuschalten, hätte Kurschus offensiv und transparent in der Sache handeln müssen. Getreu ihres Versprechens nach der Wahl 2021: die Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt sei von nun an „Chefinnensache“.

Allein vor diesem Hintergrund sind alle weiteren Deutungen ihres Abgangs obsolet. Annette Kurschus hat am Ende konsequent gehandelt, um ein Minimum an Vertrauen in die Institution Kirche, ihre Kraft zur Krisenbewältigung und die Menschen in Spitzenämtern am Glimmen zu halten. Denn im kommenden Januar sollen die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zur sexualisierten Gewalt in Kirche und Diakonie veröffentlicht werden. Derart belastet hätte Kurschus unmöglich dazu Stellung nehmen können.

Die Spitze der Kirche muss nun selbst klären, wie es dazu kommen konnte, dass Gremien nicht in die Bewertung der Vorgänge einbezogen und wie etwaiges Misstrauen unter den Führungsleuten entstehen konnte. Denn die Ursachen des Scheiterns von Kurschus liegen tiefer als die aktuellen Verdächtigungen. Offensichtlich wurde jedenfalls schnell nach der Wahl, dass das Verhältnis des weiblichen Führungstrios – der Ratsvorsitzenden, ihrer Stellvertreterin Kirsten Fehrs sowie Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich – nicht das beste war.

Dazu kam, dass Kurschus im Gegensatz zu ihren Vorgängern mehr darauf drang, dass die Kirche sich mehr um eigene Probleme kümmern sollte als in den gesellschaftlichen Diskurs einzusteigen. Das fanden nicht alle gut. Als im Februar 2022 der Krieg Russlands gegen die Ukraine begann, tat sich die EKD beispielsweise lange schwer mit der Beantwortung der Frage nach deutschen Waffenlieferungen.

Doch auch bei der Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt in der Kirche hakte es lange nach Scheitern des Betroffenenbeirats und der Installation eines neuen Beteiligtenforums. Von Chefinnensache war hier keine Spur. Dazu kamen die fallenden Zahlen von Kirchenmitgliedern auf knapp 20 Millionen evangelische Christinnen und Christen, der Reformbedarf der Kirchenverwaltung – und Kurschus’ Aufgaben bei der westfälischen Kirche. Der Doppelbelastung war die zurückgetretene Ratsvorsitzende offenbar nicht gewachsen.

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Bei ihrem Rücktritt stilisiert sich die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus als Opfer. In Wahrheit geht es jedoch um ihren heutigen Umgang mit einem lange zurück­liegenden Fall von vermutlich sexualisierter Gewalt. Die evangelische Kirche steht nun vor einem Riesen­problem. Bald wird ein Gutachten zum Macht­missbrauch in der EKD veröffentlicht.

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Die falsche Frau zur falschen Zeit am falschen Ort

17 0
20.11.2023

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, Annette Kurschus, hat am 20. November 2023 in Bielefeld ihren Rücktritt erklärt.

© Quelle: IMAGO/epd

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) steckt in einer veritablen Führungskrise. Die Ratsvorsitzende Annette Kurschus nimmt zu Recht ihren Hut, meint Thoralf Cleven. Das mindert den Druck auf die Kirchenspitze. Doch das größte Ungemach droht der Kirche Anfang 2024.

Annette Kurschus ist eine brillante Predigerin. Vor zwei Jahren erhielt sie dafür den Ökumenischen Predigtpreis fürs Lebenswerk. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, die Theologin habe „bereits Standards dafür gesetzt, was Predigt einer Kirchenrepräsentantin etwa in öffentlicher Trauer bei Katastrophen leisten kann“. Kurschus hatte beim zentralen Trauergottesdienst für die 150 Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes 2015 im Kölner Dom gesprochen.

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