Fußball-Österreich liegt sich, wieder einmal, in den Armen. Wie schon vor der EM 2016, die zum großen Flop mutierte. Wird diesmal alles anders?

Wenn ein Sieg über Deutschland nicht mehr als echte Sensation verstanden wird, dann ist etwas Außergewöhnliches passiert. Natürlich lässt sich das 2:0 der österreichischen Fußballnationalmannschaft gegen den vierfachen Weltmeister aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Man könnte zum Beispiel dem im Fußball derzeit nur noch geografisch und historisch großen Nachbarn mit Fug und Recht die ganz große spielerische Qualität absprechen.

Oder über die schlechteste deutsche Nationalmannschaft seit Menschengedenken philosophieren, die sich seit Jahren im Kreis dreht, und damit den hochverdienten Prestige-Erfolg der rot-weiß-roten Kicker kleinreden. Man könnte aber auch einfach die erstaunliche Entwicklung Österreichs hervorheben, die von Teamchef Ralf Rangnick seit Tag eins vehement vorangetrieben wurde und deren Resultat auch im Spiel gegen Deutschland zu sehen war.

Denn was vor eineinhalb Jahren mit einer emotionalen und eindringlichen Ansprache an die Mannschaft im Teamcamp im burgenländischen Bad Tatzmannsdorf begann, fand Dienstagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion seinen vorläufigen Höhepunkt. Rangnick hatte bei seinem Amtsantritt im Mai 2022 das Wir-Gefühl beschwört und etwas getan, was vor ihm noch kein österreichischer Teamchef gewagt hatte: Der Deutsche hatte nichts für unmöglich erklärt. Für Österreichs Spieler muss das ein Kulturschock gewesen sein. Immerhin wurde ihnen in der Vergangenheit eher suggeriert, dass das Mögliche unmöglich sei. Nachdem Vorgänger Franco Foda seine Mannschaft in ein enges, defensivlastiges Korsett gepresst hatte und sie spielerisch nie von der Leine ließ, wirkte die Bestellung Rangnicks wie ein Befreiungsschlag.

Es klingt so fürchterlich banal, hat aber seine Richtigkeit: Wer die großen Fußballnationen ärgern, ja vielleicht sogar bezwingen möchte, der muss mutig auftreten, voller Leidenschaft und Zielstrebigkeit. Während unter Foda in viereinhalb Jahren kein einziger Sieg gegen ein in der Weltrangliste besser klassiertes Team gelang, war das 2:0 gegen Deutschland bereits Rangnicks fünfter Coup dieser Art – in gerade einmal 18 Monaten. Lang galt: Österreich kann gegen jeden (Stichwort Färöer) verlieren. Mittlerweile gilt: Österreich kann gegen (fast) jeden gewinnen. Siege in einst ungleichen Duellen mit Deutschland, Italien oder Kroatien haben zu einem radikalen Umdenken geführt. David Alaba und Kollegen müssen sich nicht mehr in Zweckoptimismus und Durchhalteparolen verlieren, wenn sie das Trikot der Nationalmannschaft überstreifen. Zweifel sind einer tiefen Überzeugung gewichen.

Sieben Monate vor der Europameisterschaft ist das Euphorie-Fass hierzulande am Überlaufen, Fans wie Spieler im Freudentaumel. Aber sollten nicht genau jetzt, in der Stunde des Erfolgs, alle Alarmglocken schrillen? Sollte nicht besser heute als morgen die Einsicht zurückkehren, dass Österreich eben doch nur ein kleines Fußballland ist, das es gar nicht erst versuchen sollte, nach den Sternen zu greifen, ehe es wieder bitter enttäuscht wird?

Immerhin dient die Europameisterschaft 2016 in Frankreich als belehrendes Beispiel. Österreich hatte sich unter der Führung des Schweizers Marcel Koller mit neun Siegen aus zehn Spielen souverän und erstmals aus eigener Kraft für eine EM-Endrunde qualifiziert. Ein ganzes Land wähnte sich ob der Euphorie schon als Europameister. Das Ergebnis: Das sich selbst überschätzende, unreife ÖFB-Team scheiterte in der Vorrunde.

Für Ralf Rangnick kann es dennoch nicht zu viel der Euphorie geben. Die Emotionen haben der Teamchef und seine Spieler längst über den Spielfeldrand hinaus auf die Tribünen und hinein in die Wohnzimmer der Österreicherinnen und Österreicher getragen. In der Kabine findet Rangnick aber weiter mahnende Worte. Seine Mannschaft verstehe seine Botschaften, wisse ganz genau, welche Einstellung und Mentalität es brauche, um erfolgreich zu sein. Und es sei „keiner dabei, der glaubt, wir sind das Real Madrid der Nationalmannschaften oder das rot-weiß-rote Ballett“. Den Beweis dafür muss das ÖFB-Team bei der EM in sieben Monaten erbringen.

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QOSHE - Österreich, gefühlt schon wieder Europameister: Hat das Nationalteam seine Lektion gelernt? - Christoph Gastinger
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Österreich, gefühlt schon wieder Europameister: Hat das Nationalteam seine Lektion gelernt?

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22.11.2023

Fußball-Österreich liegt sich, wieder einmal, in den Armen. Wie schon vor der EM 2016, die zum großen Flop mutierte. Wird diesmal alles anders?

Wenn ein Sieg über Deutschland nicht mehr als echte Sensation verstanden wird, dann ist etwas Außergewöhnliches passiert. Natürlich lässt sich das 2:0 der österreichischen Fußballnationalmannschaft gegen den vierfachen Weltmeister aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Man könnte zum Beispiel dem im Fußball derzeit nur noch geografisch und historisch großen Nachbarn mit Fug und Recht die ganz große spielerische Qualität absprechen.

Oder über die schlechteste deutsche Nationalmannschaft seit Menschengedenken philosophieren, die sich seit Jahren im Kreis dreht, und damit den hochverdienten Prestige-Erfolg der rot-weiß-roten Kicker kleinreden. Man könnte aber auch einfach die erstaunliche Entwicklung Österreichs hervorheben, die von Teamchef Ralf Rangnick seit Tag eins vehement vorangetrieben wurde und deren Resultat auch im Spiel gegen Deutschland zu sehen war.

Denn was vor eineinhalb........

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