Nicht alle Synagogen in Berlin wurden wieder ganz aufgebaut. Nun wecken Brandsätze in der Nacht ein altes Trauma.

Oranienburger Straße, mitten in Berlin. Hier steht die Neue Synagoge. Ein orientalisch anmutender Prachtbau, zumindest wenn man die Fassade betrachtet. Wer sie betritt, erkennt ein Mahnmal. Die Synagoge wurde von den Nazis zerstört – und nie wieder ganz aufgebaut. Von der Straße aus wirkt sie intakt, aber tief in ihrem Inneren ist sie ein Gerüst, eine vage Erinnerung.

Nur einen Spaziergang von der Neuen Synagoge entfernt flogen vor Kurzem in der Nacht zwei Brandsätze auf ein Haus. In dessen Innenhof befindet sich eine Synagoge. Auch sie wurde verwüstet: 1938, in der Reichspogromnacht. Die Attentäter aus dem Jahr 2023 verfehlten ihr Ziel, die Molotowcocktails erloschen auf dem Asphalt. Am nächsten Tag war der Gehsteig verbarrikadiert. Statt eines wachten nun drei Polizisten über Einrichtungen der kleinen jüdischen Gemeinde.

„Unser Trauma wird wieder wach“, sagte eine Frau am Morgen nach dem versuchten Brandanschlag auf ihre Freunde und Familie. Sie stand auf dem Gehsteig, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der die mit brennender Flüssigkeit gefüllten Glasflaschen zerbrachen, die geworfen wurden, um eine Schule, einen Kindergarten und ein Gebetshaus zu vernichten. Von außen wirkte die Frau gefasst. Was sich in ihrem Inneren abspielte, versteckte sie vor den Blicken.

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Der deutsche Staat steht heute an der Seite der ­Jüdinnen und Juden, die in seiner Hauptstadt wohnen. Trotzdem liegt an manchen Tagen eine drückende Stimmung über Berlin, dessen Straßen wie in kaum einer anderen Stadt an eine dunkle Vergangenheit erinnern.

QOSHE - Brandsätze in der Nacht - Christoph Zotter
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Brandsätze in der Nacht

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05.11.2023

Nicht alle Synagogen in Berlin wurden wieder ganz aufgebaut. Nun wecken Brandsätze in der Nacht ein altes Trauma.

Oranienburger Straße, mitten in Berlin. Hier steht die Neue Synagoge. Ein orientalisch anmutender Prachtbau, zumindest wenn man die Fassade betrachtet. Wer sie betritt, erkennt ein Mahnmal. Die Synagoge wurde von den Nazis zerstört – und nie wieder ganz aufgebaut. Von der Straße aus wirkt sie intakt, aber........

© Die Presse


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