Vor dem Heiligen Abend macht das Votiv Kino Weihnachten komplett – und zwar mit der Vorstellung von „Tatsächlich … Liebe“.

Wer „Tatsächlich … Liebe“ oft genug gesehen hat, und das dürfte auf so ziemlich jeden zutreffen, hat irgendwann das Gefühl, die Charaktere darin zu kennen und eine Beziehung zu ihnen zu haben. Zu Jamie (Colin Firth) zum Beispiel, den Schriftsteller, dessen Freundin ihn mit seinem Bruder betrügt. Oder zur Hausangestellten Natalie (Martine McCutcheon), die sich in den neuen Premierminister Großbritanniens (Hugh Grant) verliebt. Und natürlich zu Verlagschef Harry (Alan Rickman), der von seiner Sekretärin (Heike Makatsch) umgarnt wird und der ihr schließlich ein teures Geschenk besorgt, das seine Frau (Emma Thompson) versehentlich findet.

So ähnlich ist es auch mit denselben paar Dutzend Menschen, die den Film jedes Jahr am Abend des 23. Dezember im Votiv Kino in Wien sehen. Die meisten kennen einander nicht persönlich, haben aber eine besondere Verbindung zueinander. Und damit ist nicht nur der Film gemeint, sondern das, was ihn ausmacht – dieses Märchenhafte, Unwirkliche, Fantastische. „Tatsächlich … Liebe“ ist absurd, voller Klischees, Vorurteile und Diskriminierung, irgendwie aber auch progressiv, avantgardistisch und voller Zuversicht.

In manchen Szenen will man sich selbst umarmen – angesichts der Unbeholfenheit, Blauäugigkeit, Unschuld und Natürlichkeit der Figuren, die mit so viel Liebe zum Detail gezeichnet sind. Regisseur Richard Curtis hat definitiv ein Herz für Außenseiter. Außenseiter im Sinne von Träumern. Von Leuten, die nicht naiv sind, die aber ein bisschen etwas im Leben dem Schicksal überlassen. Die auch einmal loslassen können und Entwicklungen akzeptieren, die sie nicht geplant hatten.

Dieses Lebensgefühl kulminiert an jedem 23. Dezember des Jahres im Votiv Kino. Und macht Weihnachten in Wien zu Weihnachten. Dazu gehört nicht nur die Vorführung (selbstverständlich in der Originalfassung) selbst, sondern auch die Vorbereitung und Vorfreude. Sich schon im Herbst die Karten zu sichern, ist ebenso ein Teil davon wie die Gespräche mit den anderen Fans unmittelbar vor Filmbeginn, in denen schon einmal fantasiert wird, was wohl aus den ganzen Charakteren und Liebesgeschichten wurde.

Aussichten, die auch die Kommentare von Leuten erträglicher machen, die einer Karriere als Filmkritiker nachtrauern, „Tatsächlich … Liebe“ als unzeitgemäß, misogyn und rassistisch halten, aber „Monsieur Claude und seine Töchter“ zu ihren Lieblingsfilmen zählen.

No offense, in diesem Kontext über Geschmäcker und Vorlieben zu debattieren, käme dem sprichwörtlichen Streit um des Kaisers Bart gleich. Außerdem ist der Wert von Ritualen bekanntlich nur für diejenigen nachvollziehbar, die sie hegen und pflegen.

In diesem konkreten Fall sind das Nostalgiker und weihnachtsverrückte Menschen, die in einem dunklen Saal voller Seelenverwandter sitzen, die den Film in- und auswendig kennen und über Dialoge lachen, bevor sie sie hören, und dann noch einmal, wenn sie sie hören.

„I feel it in my fingers. I feel it in my toes. Christmas is all around me. And so the feeling grows.“ Ja, genau. Nur noch zwei Tage.

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Was Weihnachten ausmacht: Zwei Stunden Abtauchen mit Träumern im Votiv Kino

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21.12.2023

Vor dem Heiligen Abend macht das Votiv Kino Weihnachten komplett – und zwar mit der Vorstellung von „Tatsächlich … Liebe“.

Wer „Tatsächlich … Liebe“ oft genug gesehen hat, und das dürfte auf so ziemlich jeden zutreffen, hat irgendwann das Gefühl, die Charaktere darin zu kennen und eine Beziehung zu ihnen zu haben. Zu Jamie (Colin Firth) zum Beispiel, den Schriftsteller, dessen Freundin ihn mit seinem Bruder betrügt. Oder zur Hausangestellten Natalie (Martine McCutcheon), die sich in den neuen Premierminister Großbritanniens (Hugh Grant) verliebt. Und natürlich zu Verlagschef Harry (Alan Rickman), der von seiner Sekretärin (Heike Makatsch) umgarnt wird und der ihr schließlich ein teures Geschenk besorgt, das seine Frau (Emma Thompson) versehentlich findet.

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