Der Aufbau eines sauberen Stromsystems braucht Platz. Höchste Zeit, dass wir uns an diesen Gedanken gewöhnen.

Rund um den Jahreswechsel purzeln traditionell die Rekorde: Nie produzierte Österreich mehr Ökostrom, nie wurden so viele Solaranlagen ausgebaut, nie so viel Steuergeld für die Umrüstung auf grüne Technologien verteilt. Doch wer genauer hinsieht, merkt, dass hinter der schönen Energiewende-Fassade dieselben Baustellen lauern wie eh und je.

87 Prozent Strom aus Erneuerbaren klingt nur so lang gut, bis der Erste nachsieht und merkt, dass in der Studie all der Strom ausgeklammert wurde, den das Land importieren muss, damit die Lichter an bleiben. Rechnet man den mit ein, landen wir bei den gewohnten 75 Prozent an sauberer Elektrizität, die die Wasserkraft seit Jahrzehnten liefert. Auch der Boom bei der Fotovoltaik ist mit Vorsicht zu genießen, findet er doch bisher fast exklusiv auf privaten Hausdächern statt, wo weder Nachbarn noch Landespolitiker das Vorhaben stören können.

Wagen sich Solar-Investoren auf die freie Fläche, geht es ihnen wie den Kollegen der Windkraft, die heuer mangels Platz, Genehmigungen und wohlwollender Anrainer nur 13 neue Windräder bauen werden. Zwar ist die Erzählung mancher Enthusiasten, dass uns Wind und Sonne über Nacht von den Fossilen erlösen werden, ein Märchen. Dass auch ohne zügigen Ökostrom-Ausbau schon irgendwie alles gut sein wird, ist aber genauso falsch.

Boku-Professor Gernot Stöglehner hat vorgerechnet, dass Österreich 770 neue Windkraftwerke, 50 Quadratkilometer Solarpaneele und fünfmal das Wasserkraftwerk Freudenau errichten müsste, um seine Ziele bis 2030 zu erreichen. Landespolitiker, die ihr Bundesland angesichts dieser Dimensionen ernsthaft zur Sperrzone für große Wind- oder Solaranlagen erklären wollen, machen sich der Sabotage schuldig. Hier ist der Bund gefragt, den Ländern bei Flächenwidmungen „unter die Arme zu greifen“ und manche Projekte rascher durchzuziehen, damit die Versorgung auch künftig gesichert bleibt.

Wir brauchen nun einmal sichere – und saubere – Energie. Und die dafür notwendige Energiewende braucht Platz. So viel sollte 2024 klar sein. Über die ästhetische Komponente kann man sicher streiten. Aber wirklich schön waren die alten Kohlemeiler ja auch nicht.

QOSHE - Die unsichtbare Energiewende gibt es nicht - Matthias Auer
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Die unsichtbare Energiewende gibt es nicht

4 0
11.01.2024

Der Aufbau eines sauberen Stromsystems braucht Platz. Höchste Zeit, dass wir uns an diesen Gedanken gewöhnen.

Rund um den Jahreswechsel purzeln traditionell die Rekorde: Nie produzierte Österreich mehr Ökostrom, nie wurden so viele Solaranlagen ausgebaut, nie so viel Steuergeld für die Umrüstung auf grüne Technologien verteilt. Doch wer genauer hinsieht, merkt, dass hinter der schönen Energiewende-Fassade dieselben Baustellen lauern wie eh und je.

87 Prozent Strom aus Erneuerbaren klingt nur so lang gut, bis der Erste nachsieht und merkt, dass in der Studie........

© Die Presse


Get it on Google Play