Der israelische Premier hat sein Spiel überreizt. Netanjahu kämpft jetzt nicht nur mit der Hamas, sondern auch mit der Justiz. Wie kann sich der „große Zauberer“ wieder aus der misslichen Lage herauswinden? Ein Rücktritt wäre die richtige Konsequenz aus dem Schlamassel.

Als ob der Krieg gegen die Hamas-Terroristen, die Hisbollah im Libanon, die Houthi –Rebellen im Jemen und die großen Erzfeinde des Mullah-Regimes im Iran nicht genug wäre. Zum Neujahrstag, dem ersten Jahrestag seines Koalitions-Hasards mit den ultrarechten Kräften, hat nun der Oberste Gerichtshof Benjamin Netanjahu die Quittung präsentiert für sein Manöver zur Überrumpelung und Entmachtung der Justiz. Die obersten Richter haben mit ihrem Urteil zur Annullierung eines Kernpunkts der Justizreform den israelischen Langzeit-Premier in die wohl schwerste Krise seiner Karriere gestürzt – und mit ihm die gesamte Regierung.

Über den Zeitpunkt der Entscheidung wird zu Recht Kritik laut – nicht zuletzt von Netanjahus Likud-Partei und dem Justizminister Jariv Levin. Das Höchstgericht fällt dem Kriegsherrn in einer der heikelsten Phasen der israelischen Geschichte in den Rücken. So kann man das sehen.

Doch das Verfahren zur Justizreform, zur Umkrempelung des politischen Systems, das das Land gespalten wie seit Langem nicht, nahm den Lauf der Instanzen. Das Urteil der höchsten Instanz fiel denkbar knapp aus. Doch es hat sich abgezeichnet, und der große Taktiker musste damit rechnen.

Benjamin Netanjahu hat sein Spiel überreizt. Ob sich der Zauberer, für seine Anhänger „King Bibi“, noch einmal – vielleicht ein allerletztes Mal – aus der misslichen Lage herauszuwinden vermag? Wo er doch ohnehin seinen Bonus bei den Israelis eingebüßt hat, seinen Nimbus verloren hat. Wo er nicht einmal eine Mitverantwortung für den Terrorangriff des 7. Oktober eingeräumt hat?

Dass seine Zeit abgelaufen ist, will Netanjahu partout nicht einsehen. Er versucht sich, mit einem langen Krieg gegen die Hamas über die Zeit zu retten und seine Reputation als „Mister Security“ wiederzuerlangen. So unkonventionell ein Rücktritt des Premiers inmitten eines Kriegs wäre und so sehr er sich dagegen auch sträuben mag: Es wäre die richtige Konsequenz aus einem Schlamassel, in das Netanjahu das Land hineinmanövriert hat.

Mit Benny Gantz stünde ein Kriegspremier bereit, der jederzeit das Kommando übernehmen könnte. Und Oppositionsführer Jair Lapid wäre allemal bereit, in eine Regierung der nationalen Einheit einzutreten. Es müsste sich nur ein couragierter Likud-Politiker finden, um Benjamin Netanjahu die aussichtslose Situation klarzumachen – ein Rücktritt im Dienst des Landes.

QOSHE - Ausgespielt für „Bibi“ Netanjahu - Thomas Vieregge
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Ausgespielt für „Bibi“ Netanjahu

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02.01.2024

Der israelische Premier hat sein Spiel überreizt. Netanjahu kämpft jetzt nicht nur mit der Hamas, sondern auch mit der Justiz. Wie kann sich der „große Zauberer“ wieder aus der misslichen Lage herauswinden? Ein Rücktritt wäre die richtige Konsequenz aus dem Schlamassel.

Als ob der Krieg gegen die Hamas-Terroristen, die Hisbollah im Libanon, die Houthi –Rebellen im Jemen und die großen Erzfeinde des Mullah-Regimes im Iran nicht genug wäre. Zum Neujahrstag, dem ersten Jahrestag seines Koalitions-Hasards mit den ultrarechten Kräften, hat nun der Oberste Gerichtshof Benjamin Netanjahu die Quittung präsentiert für sein Manöver zur Überrumpelung........

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