Israels Premier hat erst der Justiz den Krieg angesagt und dann der Hamas. Sein Rücktritt wäre nur konsequent für das Schlamassel, das er angerichtet hat.

Als seien der Kampf gegen die Hamas-Terroristen, die Hisbollah im Libanon, die Houthi-Rebellen im Jemen oder die Erzfeinde des Mullah-Regimes im Iran nicht schon genug im Mehrfrontenkrieg des Benjamin Netanjahu. Zum Neujahrstag, rund um den Jahrestag seines Koalitionshasards mit den ultrarechten Kräften, hat der Oberste Gerichtshof Israels Langzeitpremier die Quittung präsentiert für sein von persönlichen Motiven getriebenes Manöver zur Entmachtung der Justiz. Die obersten Richter haben mit ihrem Urteil zur Annullierung eines Kernpunkts der Justizreform „Bibi“ Netanjahu in die wohl schwerste Krise seiner Karriere gestürzt – und mit ihm seine Regierung der Hardliner und Extremisten.

Am Zeitpunkt der Entscheidung regte sich seitens der Regierung Kritik. Es hatte den Anschein, als wäre das Höchstgericht dem Kriegsherrn in einer der heikelsten Phasen der israelischen Geschichte in den Rücken gefallen. Mitnichten. Der Fristenlauf ließ kein anderes Timing zu. Das Verfahren zur Justizreform, zur Umkrempelung des politischen Systems, die das Land zutiefst gespalten hatte, nahm den regulären Instanzenweg.

Das Urteil der höchsten Instanz fiel denkbar knapp aus. Nicht jedoch die Argumentation, wonach es in der Kompetenz der Richter liegt, „unangemessene“ Beschlüsse und Personalentscheidungen der Regierung auszuhebeln. Zumal Israel mangels Verfassung und einer zweiten Parlamentskammer kein anderes Korrektiv hat als den Obersten Gerichtshof. Dass Netanjahu und die Verfechter der Justizreform mit der Brechstange vorgingen, erwies dem womöglich berechtigten Anliegen für kleinere Korrekturen an der Realverfassung einen schlechten Dienst.

Netanjahu, der große Taktiker, musste damit rechnen, dass ihm die Reform um die Ohren fliegt – freilich nicht mitten in einem Krieg, den die Hamas auch in der Annahme der Polarisierung der israelischen Gesellschaft und der Fokussierung der Sicherheitsdienste auf die Hisbollah und das Westjordanland entfesselt hat. Die Hamas hat diese vermeintliche Schwäche ausgenutzt. Der Polit-Gambler Netanjahu hat sein Spiel überreizt und die Einheit des Landes riskiert.

Ob sich „King Bibi“, für seine Anhänger ein Magier und ein selbst stilisierter „Mister Security“, noch einmal – vielleicht ein allerletztes Mal – aus der misslichen Lage herauszuwinden vermag? Wo er doch seinen Bonus bei den Israelis verspielt und seinen Nimbus verloren hat. Wo er – im Gegensatz zur Führung in Armee und Geheimdiensten – nicht einmal eine Mitverantwortung für den Terrorangriff des 7. Oktober eingeräumt hat?

Nach einer jüngsten Umfrage zeigen sich nur 15 Prozent der Israelis zu einer Wiederwahl des Langzeitpremiers bereit. Dass seine Zeit abgelaufen ist, will Netanjahu indes partout nicht einsehen. Er versucht sich mit einem langen Krieg gegen die Hamas über die Zeit zu retten und seine Reputation wiederzuerlangen. So unkonventionell ein Rücktritt des Premiers inmitten eines Kriegs wäre und so sehr er sich dagegen auch sträuben mag: Es wäre die richtige Konsequenz aus einem Schlamassel, in das Netanjahu das Land hineinmanövriert hat. Und es wäre obendrein allerhöchste Zeit, auch gleich die radikalen Scharfmacher aus der Regierung zu werfen.

Mit Benny Gantz stünde ein Kriegspremier bereit, der als früherer Generalstabschef und Verteidigungsminister jederzeit das Kommando übernehmen könnte. Und Oppositionsführer Jair Lapid wäre allemal willens, in eine Regierung der nationalen Einheit einzutreten. Es müsste sich nur ein couragierter Likud-Politiker finden, um Netanjahu die aussichtslose Situation klarzumachen – ein Rücktritt im Dienst des Landes.

Es wäre aber nicht Netanjahu, würde ihn nicht sein politischer Über­le­bens­ins­tinkt leiten. Zunächst hielt sich der Premier bedeckt und gab keine Stellungnahme zu dem für ihn fatalen Urteil ab. Es scheint so, als würde er die Sache auf sich beruhen lassen, aussitzen und in bewährter Manier auf Zeit spielen. Ob sie nun für ihn sind oder gegen ihn, eines haben die Israelis in drei Jahrzehnten gelernt: Wer „Bibi“ Netanjahu vorzeitig abschreibt, hat schon verloren. Verdient hätte er das politische Aus jedoch allemal.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

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Benjamin Netanjahu hat sein Spiel überreizt

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02.01.2024

Israels Premier hat erst der Justiz den Krieg angesagt und dann der Hamas. Sein Rücktritt wäre nur konsequent für das Schlamassel, das er angerichtet hat.

Als seien der Kampf gegen die Hamas-Terroristen, die Hisbollah im Libanon, die Houthi-Rebellen im Jemen oder die Erzfeinde des Mullah-Regimes im Iran nicht schon genug im Mehrfrontenkrieg des Benjamin Netanjahu. Zum Neujahrstag, rund um den Jahrestag seines Koalitionshasards mit den ultrarechten Kräften, hat der Oberste Gerichtshof Israels Langzeitpremier die Quittung präsentiert für sein von persönlichen Motiven getriebenes Manöver zur Entmachtung der Justiz. Die obersten Richter haben mit ihrem Urteil zur Annullierung eines Kernpunkts der Justizreform „Bibi“ Netanjahu in die wohl schwerste Krise seiner Karriere gestürzt – und mit ihm seine Regierung der Hardliner und Extremisten.

Am Zeitpunkt der Entscheidung regte sich seitens der Regierung Kritik. Es hatte den Anschein, als wäre das Höchstgericht dem Kriegsherrn in einer der heikelsten Phasen der israelischen Geschichte in den Rücken gefallen. Mitnichten. Der........

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