Mit jedem Tag gleicht das Leben in Gaza mehr einer Hölle. Noch immer harren Hunderttausende im zerschossenen Norden des Küstenstreifens aus, ohne Wasser, Strom und Lebensmittel. Fast ein Drittel der Kleinkinder ist akut unterernährt.

Wer noch laufen kann, prügelt sich um die wenigen Essenspakete. Die werden inzwischen meist aus der Luft abgeworfen, obwohl sich in Sichtweite der Grenze die Hilfskonvois stauen, die alles Nötige geladen haben. Doch Israels Kontrolleure bringen ständig neue Gründe vor, mit denen sie die Lastwagen abweisen.

In dieser Situation ist es menschlich und richtig, dass der Internationale Gerichtshof die Regierung in Jerusalem verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der Zivilbevölkerung zu verbessern. Israel kann und muss viel mehr tun, um Menschenleben zu schützen.

Das höchste UN-Gericht hat in Gaza eine seltene Gelegenheit, die Grundsätze des Völkerrechts zur Geltung zu bringen, noch während am Boden der Krieg tobt. Denn so unerbittlich Israel seinen Kampf gegen die Hamas führt, so ist das Land weiterhin ein Rechtsstaat, in dem eine Entscheidung der Haager Richter vielen Menschen etwas gilt.

Dennoch ist das Vorgehen des Gerichtshofs juristisch heikel. So richtig es moralisch ist, Israel zu mehr Rücksicht auf palästinensische Zivilisten zu verpflichten: Die Richter gehen an die Grenze ihres Mandats. Das beruht allein auf der Völkermordkonvention und setzt voraus, dass Israel mit einer speziellen Absicht zum Genozid handelt. Die Armee müsste die Hilfe also zurückhalten, weil sie das palästinensische Volk vernichten will. Auch wenn das immer wieder behauptet wird, zerfällt dieser Vorwurf jedoch, je näher man hinsieht.

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Israel mag viele Gründe haben, warum es Hilfe für Gaza behindert: legitimer Druck auf die Hamas, aber auch Wut, Vergeltung und kollektive Bestrafung. So unlauter diese Motive auch sind, für den Genozidvorwurf reichen sie nicht. Das sollte – bei aller berechtigten Kritik – nicht vergessen werden.

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Hilfe in der Hölle von Gaza

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29.03.2024

Mit jedem Tag gleicht das Leben in Gaza mehr einer Hölle. Noch immer harren Hunderttausende im zerschossenen Norden des Küstenstreifens aus, ohne Wasser, Strom und Lebensmittel. Fast ein Drittel der Kleinkinder ist akut unterernährt.

Wer noch laufen kann, prügelt sich um die wenigen Essenspakete. Die werden inzwischen meist aus der Luft abgeworfen, obwohl sich in Sichtweite der Grenze die Hilfskonvois stauen, die alles Nötige geladen haben. Doch Israels Kontrolleure bringen ständig neue Gründe vor, mit denen sie die Lastwagen abweisen.

In dieser Situation........

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