Das Schicksal der Geiseln in den Händen der Hamas ist in Israel längst zum wirkmächtigsten Symbol dieses Krieges geworden. Es ist der Stachel im Fleisch des israelischen Staates, der sich lange auf seiner vermeintlichen militärischen Übermacht ausgeruht hatte.

Und es ist die ständige Erinnerung an das Versagen des Sicherheitsapparates, der nicht verhindern konnte, dass eine vergleichsweise kleine Terrororganisation 1200 Menschen auf israelischem Boden ermorden und etwa 240 weitere verschleppen konnte.

Längst ist das Schicksal der Geiseln auch zum Symbol für die Politik Netanjahus geworden, der sich lange lieber wegduckte und taktierte, als Politik zu machen. Politik zu machen verlangt nicht nur, einen Plan zu haben für das, was man tut – und schon auf diesem Feld ist seine Bilanz verheerend, da er noch immer keine Idee formuliert hat, wie Israel nach einem militärischen Sieg in Gaza langfristig Sicherheit schaffen will.

Politik zu machen heißt vor allem, Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie schwer sind. Die Wahl, vor der Israels Regierung auch in künftigen Verhandlungen über die Geiseln stehen wird, könnte bitterer kaum sein.

Auf der einen Seite steht die Möglichkeit, das Leben zumindest einiger dieser unschuldigen Menschen zu retten, auf der anderen Seite die Gefahr, dass die Hamas nicht nur durch den Austausch selbst gestärkt wird, sondern eine Waffenruhe Israels Armee das Momentum nimmt und die Terroristen sich neu aufstellen können, was das Leben vieler Soldaten kosten könnte. Es ist eine Entscheidung, bei der es kein Richtig oder Falsch gibt, die aber dennoch getroffen werden muss.

Mehr zum Thema

1/

Liveblog zum Krieg in Nahost : Israel: 55 Meter langer Tunnel unter Al-Schifa-Krankenhaus freigelegt

Demonstration der Angehörigen : Die Geiseln sollen nicht vergessen werden

Treffen arabischer Diplomaten : „Es wird keine arabischen Truppen in Gaza geben“

Am Ende steht diese Wahl auch für die vielen Entscheidungen, die Israels Regierung treffen müsste, um eine friedliche Lösung im Nahen Osten möglich erscheinen zu lassen. Denn das ist die vielleicht wichtigste Lehre aus den Massakern des 7. Oktober: Netanjahus Strategie, keine Entscheidungen zu treffen, weil jede Entscheidung politische Kosten hat, und stattdessen Konflikte auszusitzen, ist mit diesem Tag endgültig gescheitert.

QOSHE - Israels Schicksalsfrage - Alexander Haneke
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Israels Schicksalsfrage

15 0
19.11.2023

Das Schicksal der Geiseln in den Händen der Hamas ist in Israel längst zum wirkmächtigsten Symbol dieses Krieges geworden. Es ist der Stachel im Fleisch des israelischen Staates, der sich lange auf seiner vermeintlichen militärischen Übermacht ausgeruht hatte.

Und es ist die ständige Erinnerung an das Versagen des Sicherheitsapparates, der nicht verhindern konnte, dass eine vergleichsweise kleine Terrororganisation 1200 Menschen auf israelischem Boden ermorden und etwa 240 weitere verschleppen konnte.

Längst ist das Schicksal der Geiseln auch zum Symbol für die Politik........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play