Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben: Dass tage- und wochenlang gegen eine Partei, gegen Extremisten, gegen eine ganze politische Richtung protestiert wird. Nicht für den Frieden, nicht gegen Atomkraft, nicht gegen Klimawandel, sondern gegen den Untergang der Demokratie.

Man kann das übertrieben nennen, weil das Zutrauen in die Stabilität und Stärke von Parlamenten, Regierungen und Justiz größer sein müsste. In anderen europäischen Staaten regieren die „Totengräber“ schließlich längst mit, ohne dass die Demokratie gleich zu Grabe getragen würde. Wenn nun aber selbst in Amerika darüber spekuliert wird, ob eine Diktatur bevorstehe, wird man auch für Europa sagen müssen, dass Kundgebungen zur Verteidigung einer bewährten demokratischen Kultur ihre Berechtigung haben.

Das Ziel der Demonstrationen ist klar und doch nicht ganz klar. Protestiert wird gegen die AfD, die unsere liberale Demokratie für die Spielwiese politischer Weicheier hält. Angeklagt wird eine Welt rassistischer Traditionen, die unfassbare Katas­trophen hinterlassen haben.

Das ein für allemal zu verhindern, dafür wollte vor 75 Jahren der Parlamentarische Rat sorgen – während im Osten der Kommunismus in die nächste Katas­trophe führte. Heute muss man sagen: Gegen das eine wie das andere ist keine Demokratie gefeit, da kann deren Verfassung noch so gut sein.

Die meisten Deutschen haben dennoch lange Zeit darauf vertraut. Mit dem Hintergedanken: Es wird schon gut gehen. Auch der Aufstieg der AfD ist nicht anders zu erklären. Die Partei hat es gut verstanden, ihre Wähler im Glauben zu lassen, sie stehe fest auf dem Boden des Grundgesetzes, sogar fester als ihre Kritiker.

Tatsache ist, dass sie das Grundgesetz so interpretiert, dass der Verfassungsschutz zu dem Schluss kommt, sie wolle 75 Jahre Bundesrepublik zertrümmern. Früher sagten die Kommunisten, daraus spreche die Repression des bourgeoisen Systems; heute sagt die AfD, das sei die Zensur eines rot-grün versifften Establishments.

Aus den Demonstrationen landauf, landab spricht durchaus auch die Angst eines linken Bürgertums, seine Hoheit über die exklusiv von ihm reklamierte „Zivilgesellschaft“ könne verloren gehen. Dafür stehen die Versuche, CDU und CSU auszugrenzen und in den AfD-Topf zu werfen.

Das ist besonders widersinnig, weil es sich gegen die Volksparteien richtet, die aus der Zeit der Gründungsphase der Bundesrepublik noch einigermaßen funktionstüchtig übrig sind und nach deren Philosophie – „Zusammenhalt“ über Interessen und Milieus hinweg – sich die Hunderttausenden, die jetzt auf die Straße gehen, doch zurücksehnen. Nicht nur die Aversion gegen die AfD gibt Anlass zu dieser Sehnsucht, sondern auch eine Regierungskoalition, deren drei Parteien in das Gegenmodell zurückgefallen sind, in den fast schon selbstzerstörerischen Eifer jeweiliger Klientelinteressen.

Die „Bewegung“, die sich jetzt auf den Straßen dagegen zusammenfindet, drückt insofern das Unbehagen in einer neuen Zeit aus, in der es die alten Gewissheiten der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte nicht mehr gibt. „Gegen rechts“ lässt sich paradoxerweise als konservatives Aufbegehren gegen den Untergang eines vertrauten Parteiensystems interpretieren, der sich darin äußert, dass gleich mehrere Markenzeichen der alten Bundesrepublik in einzelnen Bundesländern an der Fünfprozenthürde zu scheitern drohen.

Parteien wie die AfD – es wird nicht die letzte dieser Art gewesen sein – drängen in die Institutionen, deren Integrität und Arbeitsfähigkeit zu lange für selbstverständlich gehalten wurden und die deshalb heimatlos zu werden drohen. Nicht Respekt und Ordnungssinn aber treibt die AfD in Gemeinderäte, Kreistage oder Landratsämter, sondern deren Scharnierfunktion für die Art, wie wir leben. Der Marsch durch die Institutionen hatte noch nie nur die Institutionen im Auge.

Diese Institutionen haben es umgekehrt mit einer Gesellschaft zu tun, in der es sich eingebürgert hat, das demokratische Heldentum, die politische Kärrnerarbeit anderen zu überlassen. Zwar wird Politik als Beruf gerade gegenüber der AfD gepriesen: Kompromisse finden, zum Konsens bereit sein, Gemeinsinn pflegen. Die Wirklichkeit aber prägen Vorurteile, Vertrauensverlust und Desinteresse. Daraus spricht nicht nur Enttäuschung der „Abgehängten“, sondern auch Selbstgefälligkeit der Repräsentierten.

Mehr zum Thema

1/

CDU und Linke : Gemeinsam gegen die AfD?

Anti-AfD-Demos : Verteidigt die alten Parteien!

Saale-Orla-Kreis : AfD verpasst in Thüringen zweiten Landratsposten

Das hat unter anderem dazu geführt, dass der Sinn von Politik nicht in der Bewältigung von Missständen, sondern nur mehr im kraftvollen Bekenntnis („Haltung zeigen!“) gesucht wird. Die AfD geht deshalb unbeschadet aus der Protestwelle hervor. Solange „Bewegung“ nicht darin besteht, sich mit konkreten Fragen zu beschäftigen, die zum Aufstieg der AfD und zum Abstieg des Vertrauten geführt haben, werden noch so viele Innenstädte durchschritten. Die Bewegung tritt dann auf der Stelle.

QOSHE - Unbehagen in einer neuen Zeit - Altenbockum
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Unbehagen in einer neuen Zeit

7 0
29.01.2024

Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben: Dass tage- und wochenlang gegen eine Partei, gegen Extremisten, gegen eine ganze politische Richtung protestiert wird. Nicht für den Frieden, nicht gegen Atomkraft, nicht gegen Klimawandel, sondern gegen den Untergang der Demokratie.

Man kann das übertrieben nennen, weil das Zutrauen in die Stabilität und Stärke von Parlamenten, Regierungen und Justiz größer sein müsste. In anderen europäischen Staaten regieren die „Totengräber“ schließlich längst mit, ohne dass die Demokratie gleich zu Grabe getragen würde. Wenn nun aber selbst in Amerika darüber spekuliert wird, ob eine Diktatur bevorstehe, wird man auch für Europa sagen müssen, dass Kundgebungen zur Verteidigung einer bewährten demokratischen Kultur ihre Berechtigung haben.

Das Ziel der Demonstrationen ist klar und doch nicht ganz klar. Protestiert wird gegen die AfD, die unsere liberale Demokratie für die Spielwiese politischer Weicheier hält. Angeklagt wird eine Welt rassistischer Traditionen, die unfassbare Katas­trophen hinterlassen haben.

Das ein für allemal zu verhindern, dafür wollte vor 75 Jahren der Parlamentarische Rat sorgen – während im Osten der Kommunismus in die nächste Katas­trophe führte. Heute muss........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play