Die Videokünstlerin Candice Breitz, Mitglied in der Berliner Akademie der Künste, hat eine E-Mail an deren Präsidentin Jeanine Meerapfel geschrieben. Darin kündigt sie an, ihre Mitgliedschaft ruhen zu lassen; ab sofort möge man sie als „Dissidentin“ betrachten. Un­ter der Führung Meerapfels nämlich, so Breitz, zeige die Akademie keine hinreichende Solidarität „mit bestimmten Mitgliedern, deren Ausdrucks- und Meinungsfreiheit durch zynische und unberechtigte Unterstellungen unterminiert“ werde.

Was ist passiert? Vor ei­ner Woche hat die Berliner Akademie ein Statement herausgegeben, in dem sie sich „gegen jegliche Gesinnungsprüfung“ von Künstlern „aufgrund politischer Äußerungen“ ausspricht. Jeder ha­be das Recht, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“. Diese Erklärung nun findet Breitz „vage“ und „zahnlos“, offenbar vor allem, weil ihr eigener Name darin nicht auftaucht.

Ende November hatte das Saarlandmuseum in Saarbrücken eine für 2024 geplante Ausstellung abgesagt, in der eine Videoinstallation von Breitz über Sexarbeiterinnen in Südafrika gezeigt werden sollte. Zur Begründung teilte die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz mit, sie wolle Künstlern kein Podium bieten, „die sich nicht klar ge­gen den Terror der Hamas positionieren“. Darauf entgegnete Breitz im Interview mit der „Jungen Welt“, sie habe die Hamas „wiederholt und unmissverständlich“ verurteilt und empfinde die Saarbrücker Absage als antisemitisch.

Allerdings hat Breitz zusammen mit dem amerikanischen Ho­lo­caust­forscher Michael Rothberg auch ein Symposium unter dem Titel „We still need to talk“ vorbereitet, bei dem un­ter anderem der Kunstkurator Edwin Nasr auftreten sollte, der am Tag nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ein Bild von fliehenden Festivalbesuchern auf In­stagram mit der Überschrift „poetische Gerechtigkeit“ versehen hatte.

Kurz darauf hatten die Akademie der Künste und die Bundeszentrale für politische Bildung dem für Dezember geplanten Symposium ihre Unterstützung entzogen, was wiederum Breitz veranlasste, eine Protestveranstaltung abzuhalten, auf der sie in einem Video ihre Unterstützung der Palästinenser mit ihrer Erfahrung der Apartheid in ihrem Geburtsland begründete. Jetzt folgt als nächste Eskalationsstufe der Brandbrief, in dem die jüdischstämmige Südafrikanerin Breitz die deutsch-argentinische Jüdin Meerapfel dafür abstraft, dass diese sich nicht wie eine Interessenverbandsvorsitzende, sondern wie die gewählte Präsidentin einer Künstlervereinigung öffentlichen Rechts verhält.

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Wie die deutsche Kulturszene sich selbst zerlegt

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20.12.2023

Die Videokünstlerin Candice Breitz, Mitglied in der Berliner Akademie der Künste, hat eine E-Mail an deren Präsidentin Jeanine Meerapfel geschrieben. Darin kündigt sie an, ihre Mitgliedschaft ruhen zu lassen; ab sofort möge man sie als „Dissidentin“ betrachten. Un­ter der Führung Meerapfels nämlich, so Breitz, zeige die Akademie keine hinreichende Solidarität „mit bestimmten Mitgliedern, deren Ausdrucks- und Meinungsfreiheit durch zynische und unberechtigte Unterstellungen unterminiert“ werde.

Was ist passiert? Vor ei­ner Woche hat die Berliner Akademie ein Statement herausgegeben, in dem sie sich „gegen jegliche Gesinnungsprüfung“ von Künstlern „aufgrund politischer Äußerungen“ ausspricht. Jeder ha­be das Recht, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“. Diese Erklärung nun........

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