Vor einem Jahr strich der Hamburger Carlsen Verlag den neuesten Band des wichtigsten lebenden französischen Comiczeichners aus seinem Programm – noch vor Beginn der Auslieferung. Für „Elise und die neuen Partisanen“ hatte Jacques Tardi die Erlebnisse seiner Frau, der Sängerin Dominique ­Grange, an deren revolutionäres Engagement im Unruhejahr 1968 und dem darauffolgenden halben Jahrzehnt in Bilder gesetzt, in Frankreich war der 180 Seiten starke Band 2022 mit großem Erfolg erschienen, doch Carlsen störte sich am Nachwort von Grange, in dem sie die Kontinuität ihres Kampfs gegen „Liberalismus, Im­perialismus und die Tyrannei dik­tatorischer Systeme“ bekräftigte und dabei besonders ihre „Solidarität mit dem vorbildlichen, nun seit siebzig Jahren andauernden Widerstand des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzung und Apartheid“ betonte.

Anfang 2023 konnte noch niemand etwas vom 7. Oktober, dem Einmarsch im Gazastreifen und der dadurch verschärften Dämonisierung Israels ahnen, der Verlag jedoch befürchtete durch die Publikation von „Elise“ eine Verwicklung in die deutsche Debatte um die BDS-Bewegung, zu deren Unterstützern Grange und Tardi gehören. Allerdings machte Carlsen sich nicht die Mühe, die beiden Autoren oder ihren Übersetzer Uli Pröfrock vom Verzicht auf die Pu­blikation zu informieren; sie erfuhren es durch das Verschwinden des Comics von der Website des Verlags. Kein guter Stil, zumal dann noch wahrheits­widrig behauptet wurde, es habe Lizenzprobleme gegeben. Und später, dass man ja nicht habe ahnen können, dass ein Band über die Achtundsechziger-Bewegung eine Stellungnahme gegen Israel enthalte.

Nun könnte man sagen, dass ein Verlag auch das Nachwort eines Comics lesen sollte, den er einkauft. Oder dass er, wenn das zu viel Zeit kostet, auf die gleich zu Beginn stehende Widmung an Georges Ibrahim Abdallah hätte stoßen können, der in Frankreich seit 1984 wegen Doppelmordes an einem amerikanischen Offizier und einem israelischen Diplomaten im Gefängnis sitzt und seine Tat mit der Betei­ligung der USA am israelischen Einmarsch im Libanon 1982 rechtfertigt. Ganz zu schweigen von Seite 123 des Comics, wo Grange von ihrer Teilnahme an französischen Arbeiter- und Studentenprotesten gegen die Massaker im Zuge des „Schwarzen Septembers“ in Jordanien erzählt und ihre Protagonistin dabei den Schlachtruf „Palästina wird siegen!“ anstimmen lässt.

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Wie dem auch sei, Carlsen kniff und reichte den Band weiter an den kleinen All Verlag in Wipperfürth, der „Elise“ jetzt herausgebracht hat – zur Zufriedenheit von Grange und Tardi in Pröfrocks textgetreuer Übersetzung, wobei in der aus Hamburg nach Wipperfürth übermittelten Datei ausgerechnet das Wort „Apartheid“ fehlte, das die ganze Sache ausgelöst hatte. Aber das hat Pröfrock beim Korrekturlesen noch bemerkt, und so kann man nun die Nagelprobe darauf machen, ob sich jemand daran stört, dass die jahrzehntelang bekräftigte Haltung zweier Künstler ein weiteres Mal manifest wird. Immerhin kann sich beim All Verlag niemand damit herausreden, man hätte nicht gewusst, was da ins Programm kommt.

QOSHE - Für Elise - Andreas Platthaus
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Für Elise

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09.04.2024

Vor einem Jahr strich der Hamburger Carlsen Verlag den neuesten Band des wichtigsten lebenden französischen Comiczeichners aus seinem Programm – noch vor Beginn der Auslieferung. Für „Elise und die neuen Partisanen“ hatte Jacques Tardi die Erlebnisse seiner Frau, der Sängerin Dominique ­Grange, an deren revolutionäres Engagement im Unruhejahr 1968 und dem darauffolgenden halben Jahrzehnt in Bilder gesetzt, in Frankreich war der 180 Seiten starke Band 2022 mit großem Erfolg erschienen, doch Carlsen störte sich am Nachwort von Grange, in dem sie die Kontinuität ihres Kampfs gegen „Liberalismus, Im­perialismus und die Tyrannei dik­tatorischer Systeme“ bekräftigte und dabei besonders ihre „Solidarität mit dem vorbildlichen, nun seit siebzig Jahren andauernden Widerstand des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzung........

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