An diesem Mittwochabend wird die Leipziger Buchmesse feierlich eröffnet, im Beisein von Bundeskanzler Scholz. Und am ersten Besuchertag wird Bundespräsident Steinmeier auf dem Messegelände erwartet. Regierungschef und Staatsoberhaupt als Gäste – das hat auch die große Schwester in Frankfurt nicht häufig erlebt. Das literarische Leipzig sonnt sich in Politprominenz. Zumal auch noch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zugegen sein wird, weil sein Land zusammen mit dem belgischen Flandern in diesem Jahr als Ehrengast in Leipzig fungiert.

Der höchste Besuch kann auf zweierlei Weise gedeutet werden. Einmal als Wertschätzung für eine Ver­anstaltung, die traditionell enge Kontakte nach Osteuropa pflegt. Seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine hat das eine Bedeutung in Deutschland gewonnen, die endlich über die vorherigen Lippenbekenntnisse hinausgeht.

Und dann als Krisenbeistand für die Leipziger Buchmesse. Denn die Zukunft der Veranstaltung steht auf der Kippe – zum ersten Mal seit der deutschen Wiedervereinigung, als das Land plötzlich mit zwei großen Buchmessen dastand. Frankfurt als Weltmarktführerin stand nicht zur Debatte, Leipzig als kulturelles Erbteil auch nicht, also schulterte die Buchbranche beide. Leipzig war dabei für die Verlage immer Kür neben der Frankfurter Pflicht: Hier gibt’s weniger Geschäft als gute Laune, denn die ganze Stadt ist fünf Tage lang ein riesiges Fest namens „Leipzig liest“. Das muss man sich leisten können.

Und sich leisten wollen. Daran jedoch bestehen Zweifel, seit Astrid Böhmisch vor drei Monaten die neue Direktorin der Leipziger Buchmesse wurde. Das wäre schon deshalb ein Einschnitt gewesen, weil mehr als dreißig Jahre lang Oliver Zille Gesicht und Gehirn dieser Messe gewesen ist. Nun kommt der Führungswechsel aber auch noch in einer Zeit, da auf den Prüfstand kommen dürfte, wofür Zille eingetreten ist: das Lesefest statt des Lesegeschäfts. Und in der heikle Themen en masse anstehen: Absatzkrise im Buchhandel, defizitäre Leseförderung in den Schulen, Künstliche Intelligenz in der Übersetzerbranche.

Auch wenn Zille noch den Großteil des diesjährigen Programms konzipiert hat, steht Böhmisch als Chefin doch sofort unter scharfer Beobachtung, weil ihr Vorgänger so beliebt war – beliebt bei Messeausstellern und Besuchern, weniger bei der Leipziger Messegesellschaft, die sich einen kommerzielleren Kurs ihres überregionalen Aushängeschilds wünschte, als Zille einzuschlagen bereit war. Gesellschafter sind die Stadt und der Freistaat Sachsen, das Unternehmen ist also auch eine politische Angelegenheit. Das war nicht notwendig zum Schaden der Leipziger Buchmesse. Als sie, anders als Frankfurt, gleich dreimal hinter­einander der Pandemie zum Opfer fiel, sorgten Kommune, Freistaat und Bund in einer gemeinsamen Kraftanstrengung dafür, dass es 2023 weitergehen konnte, und der Erfolg beim Publikum knüpfte nahtlos an die Zeit vor Corona an.

Doch in diesem Jahr ist bereits et­liches an öffentlicher Förderung weggefallen, und im kommenden Jahr wird es noch mehr sein. Astrid Böhmisch ist als Expertin für Buchmarketing und digitales Publizieren geholt worden, um ein Konzept für die Buchmesse zu entwickeln, das den absehbar eintretenden Ausstellerrückgang nach Erhöhung der Stand- und Veranstaltungspreise aufhalten soll. Damit wird sie bei den klassischen Ver­lagen nicht eben punkten, und auch die fast dreihunderttausend Besucher kommen nicht wegen organisatorischer Fragen. Man darf gespannt sein, wie die bislang kaum öffentlich aufgetretene Managerin sich im Messe- und Medienrummel präsentieren wird.

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Ihre erste Bewährungsprobe kommt gleich: Wie wird sie mit den erwartbaren Problemen umgehen, die anstehen, wenn im Rahmen der Eröffnungsfeier der Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung übergeben wird? Als die Auszeichnung ­dem 1979 in Haifa geborenen Philosophen Omri Boehm zugesprochen wurde, lag der Terror­angriff der Hamas auf sein Heimatland erst zwei Monate zurück. Das Konzept eines bi­nationalen Einheitsstaats für Palästinenser und Israelis, das Boehm vertritt, bot die willkommene Vision eines dritten Wegs zwischen dem jüdisch dominierten Israel von heute und einer Zweistaatenlösung.

Vermittler wie Boehm haben es seitdem jedoch nicht leichter, und seine Laudatorin Eva Illouz ist eine Parteigängerin Israels (wenn auch nicht Netanjahus). Das wird es Bundeskanzler Scholz leichter machen, zuzuhören, aber es wird Reaktionen auf der Messe provozieren – die Berlinale dürfte Warnung genug sein. Wie die neue Direktorin damit umgeht, wird Auskunft geben über ihre Fähigkeiten als Krisenbewältigerin. Dafür ist sie schließlich engagiert worden. Scholz und Steinmeier werden ihr nur symbolisch Rückendeckung bieten. Sie sind ja am zweiten Messetag schon nicht mehr in Leipzig. Die Messe aber soll bleiben.

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Leipziger Buchmesse steht am Scheideweg

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20.03.2024

An diesem Mittwochabend wird die Leipziger Buchmesse feierlich eröffnet, im Beisein von Bundeskanzler Scholz. Und am ersten Besuchertag wird Bundespräsident Steinmeier auf dem Messegelände erwartet. Regierungschef und Staatsoberhaupt als Gäste – das hat auch die große Schwester in Frankfurt nicht häufig erlebt. Das literarische Leipzig sonnt sich in Politprominenz. Zumal auch noch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zugegen sein wird, weil sein Land zusammen mit dem belgischen Flandern in diesem Jahr als Ehrengast in Leipzig fungiert.

Der höchste Besuch kann auf zweierlei Weise gedeutet werden. Einmal als Wertschätzung für eine Ver­anstaltung, die traditionell enge Kontakte nach Osteuropa pflegt. Seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine hat das eine Bedeutung in Deutschland gewonnen, die endlich über die vorherigen Lippenbekenntnisse hinausgeht.

Und dann als Krisenbeistand für die Leipziger Buchmesse. Denn die Zukunft der Veranstaltung steht auf der Kippe – zum ersten Mal seit der deutschen Wiedervereinigung, als das Land plötzlich mit zwei großen Buchmessen dastand. Frankfurt als Weltmarktführerin stand nicht zur Debatte, Leipzig als kulturelles Erbteil auch nicht, also schulterte die Buchbranche........

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