Saubere Sommerspiele? Diese schöne Illusion beantworten Realisten mit einem süffisanten Lächeln. Sie haben recht. Pünktlich zu Beginn des neuen Jahres wirft das spanische Online-Sportmagazin „Relevo“ der spanischen Anti-Doping-Agentur (CELAD) vor, Testergebnisse nicht angemessen behandelt zu haben. Demnach sollen Nachrichten über positive Dopingtests betroffenen Athleten und Athletinnen erst nach 365 Tagen, just nach Ablauf der Verjährungsfrist, zugeschickt worden sein.

Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz verbotener Mittel seien rückdatiert worden. Zudem habe die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) diesen oder jenen Regelverstoß trotz ausreichender Gelegenheit nicht geahndet. Die WADA ging in einer Stellungnahme auf diesen Vorwurf nicht ein, bestätigte aber, dass es „eine Reihe ausstehender Korrekturmaßnahmen gibt, die von CELAD dringend angegangen werden müssen“. Andernfalls werde ein Compli­ance-Verfahren eingeleitet.

Ob nun Schlampigkeit, eine überforderte Organisation oder gar Absicht dahintersteckt, ist vorerst nicht entscheidend. Denn die Ursache ändert nichts am Ergebnis: Es laufen offenbar Spitzensportler selbst in Ländern mit Anspruch auf ein seriöses Anti-Doping-System durch die Gegend, die gesperrt gehörten.

Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Aber sie dämpft wieder die Hoffnung, wenigstens in Europa und in ein paar Ländern auf anderen Kontinenten käme der so mühselige Kampf gegen die Manipulation dank einer zunehmenden Professionalisierung peu à peu voran. Im Einzellfall mag das stimmen. Auf die Welt bezogen aber klaffen gewaltige Fahndungs- und Informationslöcher.

Die Zahl der anerkannten Labore ist viel zu gering. Und die Kontrollhistorie eines Athleten aus Deutschland, den USA, Afrika, Indien oder etwa China im Jahr vor Olympia bleibt in der Regel ein Geheimnis, weil es auf die Frage, wo er auf seiner Welttournee wann und wie getestet wurde, keine Antwort gibt.

Erst ein lückenloses Protokoll gäbe Auskunft darüber, ob jemand eine Phase ohne Überprüfung für einen Manipulationszyklus genutzt haben könnte. Die meisten Dopingformen etwa mit Anabolika beginnen weit vor den Wettkämpfen, wenn sie wirken sollen, weil sie die Regenerationszeit reduzieren, höhere Trainingsumfänge erlauben. Nur die Dümmsten tragen noch nachweisbare Spuren in sich während ihrer Wettkämpfe.

Deshalb sind auch die Nachtests im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees bei allem Risiko für Manipulateure von begrenzter Bedeutung. Für die Spiele von London ist das Verfahren mit Ablauf der Verjährungsfrist beendet: 73 wurden nachträglich disqualifiziert, 31 Medaillen entzogen, darunter acht Olympiasieger vom Sockel gerissen. Bei einer Enttarnung schon während der Spiele wäre Bewegung ins Olympische Dorf gekommen – mit im Schnitt rund fünf Rauswürfen pro Wettkampftag.

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Die illusorischen Spiele von Paris

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03.01.2024

Saubere Sommerspiele? Diese schöne Illusion beantworten Realisten mit einem süffisanten Lächeln. Sie haben recht. Pünktlich zu Beginn des neuen Jahres wirft das spanische Online-Sportmagazin „Relevo“ der spanischen Anti-Doping-Agentur (CELAD) vor, Testergebnisse nicht angemessen behandelt zu haben. Demnach sollen Nachrichten über positive Dopingtests betroffenen Athleten und Athletinnen erst nach 365 Tagen, just nach Ablauf der Verjährungsfrist, zugeschickt worden sein.

Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz verbotener Mittel seien rückdatiert worden. Zudem habe die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) diesen oder jenen Regelverstoß trotz ausreichender Gelegenheit nicht geahndet. Die WADA ging in einer Stellungnahme auf diesen Vorwurf nicht ein, bestätigte aber, dass es „eine Reihe ausstehender Korrekturmaßnahmen gibt, die von CELAD dringend angegangen werden müssen“.........

© Frankfurter Allgemeine


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