Auf den zweiten Blick ist die Sache mit dem „X“-odus vielschichtiger: Zuletzt hatte der Deutschlandfunk (DLF) auf „X“ (Xitter, Twix, ehemals Twitter – suchen Sie sich bitte was aus) angekündigt, Elon Musks selbst erklärtes Schutzgebiet für freie Meinungsäußerungen verlassen zu wollen. Als Grund nannte man „Entwicklungen auf dieser Plattform“. Das Vage gehört zu derlei Ankündigungen wie der Umstand, plötzlich doch wieder dort aktiv zu werden. Recht verlässlich regte sich denn auch die übliche Bestürzung derjenigen, die „X“ nicht komplett den Trollen, den Agitatoren, den Zündlern oder einfach jenen überlassen wollen, die im Schnitt mehr Worte absondern, als sie aufnehmen.

Also begab sich beim DLF flugs Charlotte Voß von der Abteilung „Audience Development“ (Publikumsentwicklung) für einen Erklär-Podcast ans Mikrofon, der den Schritt etwas transparenter machen sollte: Ausschlaggebend ist demnach weniger der Ton auf „X“ als vielmehr die undurchsichtige Steuerung der Plattform durch den erratischen Musk, die es zunehmend schwer mache, seriöse Absender als solche zu erkennen, während die Moderation der Beiträge durch das Zusammenstreichen der Kontrollstellen längst nicht mehr ausreicht. Überdies, berichtet Voß, sei auch schlicht die Zahl derjenigen gesunken, die über „X“ den Weg zu den Angeboten des DLF finden. Andere Plattformen (Tiktok, Instagram und Youtube) hätten im Schnitt weitaus mehr Nutzer, da will man seine Ressourcen doch lieber auf sie verwenden. Vor diesem Hintergrund wirkt der Schritt plausibel – alles hat seine Zeit, auch „X“/„Twitter“.

Aber natürlich liegt es nahe, die nicht zu leugnende Tendenz zu bedauern, nach der sich Einzelpersonen und Institutionen aus mehr oder minder öffentlichen Räumen zurückziehen, wenn es unbequem wird. „Man muss dahin gehen, wo es wehtut, sonst geht es dahin“, antwortete der Soziologe Armin Nassehi dem DLF. Auch die Angst vor der falschen, weil die Gefühle eines potentiellen Publikums verletzenden Meinung wiegt vor allem auf offizieller Seite viel und hat zur Folge, dass abgesagt, ausgeladen, aufgehört, abgeschaltet und eben nicht verhandelt wird. War die Teilnahme an einer bestimmten Social-Media-Plattform immer auch eine Art Bekenntnis, ein Credo, grünt das Gras mittlerweile zumindest in der Medienbranche stets grüner auf der Plattform, auf der man gerade nicht (mehr) vertreten ist.

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Da reiben sich natürlich jene die Hände, die gerne einfach nur stänkern – verkennend, wie langweilig es ihnen werden wird, wenn sie mit sich und ihrem Gewäsch allein sind und ihr einsames Herz sich nicht mehr an als Widerspruch verkleideter Aufmerksamkeit wärmen kann. Gleichzeitig wird um „X“, das von Medienmachern als eine Art Destille ihrer Profession respektive ihres Egos oft etwas hoch, als Instrument zur Zitat-, Text- und Ideensuche aber kaum hoch genug eingeschätzt werden konnte, traditionell mehr Lärm gemacht, als es angesichts von etwa zehn Prozent der Deutschen, die es nutzen, vielleicht Sinn ergibt. Die Vorstellung, es handele sich bei „TwiX“ um eine schützenswerte Elite diverser Top-Entscheider und entscheidenden Gatekeepern war vielleicht immer schon: Wunschdenken.

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Wo das Gras noch grün ist

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04.01.2024

Auf den zweiten Blick ist die Sache mit dem „X“-odus vielschichtiger: Zuletzt hatte der Deutschlandfunk (DLF) auf „X“ (Xitter, Twix, ehemals Twitter – suchen Sie sich bitte was aus) angekündigt, Elon Musks selbst erklärtes Schutzgebiet für freie Meinungsäußerungen verlassen zu wollen. Als Grund nannte man „Entwicklungen auf dieser Plattform“. Das Vage gehört zu derlei Ankündigungen wie der Umstand, plötzlich doch wieder dort aktiv zu werden. Recht verlässlich regte sich denn auch die übliche Bestürzung derjenigen, die „X“ nicht komplett den Trollen, den Agitatoren, den Zündlern oder einfach jenen überlassen wollen, die im Schnitt mehr Worte absondern, als sie aufnehmen.

Also begab sich beim DLF flugs Charlotte Voß von der Abteilung „Audience Development“ (Publikumsentwicklung) für einen Erklär-Podcast ans........

© Frankfurter Allgemeine


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