Im Kreml dürften die Krimsektkorken knallen. So drastisch wie in den jüngsten Tagen haben der französische Präsident und der deutsche Bundeskanzler noch nicht zu erkennen gegeben, wie schwer ihnen der Gleichschritt beim Marsch gegen Putin fällt. Zwei Jahre nach dessen Angriff auf die Ukraine und die europäische Sicherheitsarchitektur fliegen zwischen Paris und Berlin ganz offen die Fetzen. Ausgetauscht werden nicht nur Vorwürfe, die Ukraine bisher zu wenig oder zu spät unterstützt zu haben. Differenzen von geradezu strategischer Bedeutung zeigen sich nun auch bei der Beantwortung der Frage, wie verhindert werden soll, dass Putin den Krieg gewinnt.

Immerhin scheinen sich Macron und Scholz darin einig zu sein, dass diese Gefahr besteht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Washington liefert, von Trumps Republikanern daran gehindert, keine Waffen mehr. Die Ukrainer geraten in der großen Artillerieschlacht mit den Russen aber auch deshalb ins Hintertreffen, weil die Europäer ihr Munitionsversprechen nicht halten konnten. Putin dagegen feuert, von Iran und Nordkorea unterstützt, aus allen Rohren.

Berlin brauchte nach Scholz’ Zeitenwenderede eine Weile, um nicht nur „Schlafsäcke und Helme“ (Macron) in die Ukraine zu schicken, ließ danach bei den Waffenlieferungen aber alle anderen Europäer weit hinter sich, insbesondere auch Frankreich. Hätten Paris, London, Rom und Madrid so viel geliefert und überwiesen wie Berlin, sähe die militärische Lage in der Ukraine wohl anders aus. Und auch das, was die anderen Europäer der Ukraine jetzt in Aussicht gestellt haben, kommt nicht an die deutschen Zusagen heran.

Macron will Putin offenkundig auf andere Weise stoppen: mit der Androhung einer Eskalation. Nichts anderes steckte in seiner Bemerkung, dass auch die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine nicht ausgeschlossen werden könne. Käme es dazu, dann würde Russland nicht nur Krieg gegen die Ukraine führen, sondern auch gegen die NATO, die gerade auf 32 Mitglieder angewachsen ist (wenn man die Türkei und Ungarn weiter dazurechnet).

Dass Putin sich von Macrons Säbelrasseln beeindrucken lässt, ist freilich kaum zu erwarten. Der amerikanische Präsident Biden hat immer deutlich gemacht, dass die USA sich wegen der Ukraine nicht in einen Krieg mit Russland hineinziehen lassen werden. Trump würde Macron erst recht den Finger zeigen. Ohne den Rückhalt Amerikas könnte Paris es aber niemals wagen, gegen das militärisch vielfach überlegene Russland anzutreten. Auch die meisten europäischen Staaten, an erster Stelle Deutschland, hielten das für schieren Wahnsinn. Scholz hatte nur wenige Stunden zuvor gesagt, „wir werden verhindern (!), dass es zu einer Eskalation des Krieges . . . und zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO kommt“. Das ist die rote Linie, der Scholz alles unterordnet.

Jeder, der an ihr Überschreiten denkt, muss wissen, dass dahinter die Hölle des dritten und wahrscheinlich letzten Weltkriegs ausbrechen könnte. In dessen Feuer würden allerdings auch Putin und sein Traum von Großrussland verbrennen, weswegen selbst er es sich gut überlegen müsste, ob er mit fliegenden Fahnen in die nukleare Schlacht zöge.

Aus den Erklärungen und dem Verhalten des „kollektiven Westens“ kann Putin freilich den Schluss ziehen, dass, wenn es ganz hart auf hart kommt, seine Gegner mehr Angst vor der Eskalation haben als er. Dank der jedenfalls in dieser Hinsicht glasklaren Erklärungen des Kanzlers weiß Putin, dass jedenfalls Deutschland eher eine Niederlage der Ukrainer hinnehmen würde, als dem von der Auslöschung bedrohten Staat mit eigenen Truppen beizustehen – obwohl auch Scholz mehrfach beteuerte, dass Putin nicht gewinnen dürfe.

Damit hatte – nicht nur – der Kanzler einen Schwur abgelegt, der über das Schicksal der Ukraine hinausreicht. Mobilisiert der Westen nicht alle Kräfte zur Unterstützung der Ukraine, dann könnte Putin an der ebenfalls mehrfach bekräftigten Entschlossenheit zweifeln, jeden Quadratmeter des NATO-Gebiets gegen einen russischen Angriff zu verteidigen, den selbst der deutsche Verteidigungsminister in wenigen Jahren für möglich hält. Donald Trump hat Putin schon signalisiert, dass er, würde er zum amerikanischen Präsidenten gewählt, wahrscheinlich keinen Finger krumm machte, um den Europäern zu helfen.

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In dieser kritischen Lage ist das Letzte, was Paris und Berlin sich leisten können, offener Streit in zentralen sicherheitspolitischen Fragen. Macron und Scholz müssen sich trotz unterschiedlicher Temperamente und politischer Traditionen in ihren Ländern endlich zusammenraufen, wenn sie Putin aufhalten wollen, der nur das Recht des Skrupelloseren kennt. Der könnte sonst vielleicht glauben, er habe in den vergangenen Tagen nur zwei Papiertiger gesehen, die mehr miteinander kämpfen als gegen ihn.

QOSHE - Das Letzte, was Berlin und Paris sich leisten können - Berthold Kohler
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Das Letzte, was Berlin und Paris sich leisten können

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27.02.2024

Im Kreml dürften die Krimsektkorken knallen. So drastisch wie in den jüngsten Tagen haben der französische Präsident und der deutsche Bundeskanzler noch nicht zu erkennen gegeben, wie schwer ihnen der Gleichschritt beim Marsch gegen Putin fällt. Zwei Jahre nach dessen Angriff auf die Ukraine und die europäische Sicherheitsarchitektur fliegen zwischen Paris und Berlin ganz offen die Fetzen. Ausgetauscht werden nicht nur Vorwürfe, die Ukraine bisher zu wenig oder zu spät unterstützt zu haben. Differenzen von geradezu strategischer Bedeutung zeigen sich nun auch bei der Beantwortung der Frage, wie verhindert werden soll, dass Putin den Krieg gewinnt.

Immerhin scheinen sich Macron und Scholz darin einig zu sein, dass diese Gefahr besteht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Washington liefert, von Trumps Republikanern daran gehindert, keine Waffen mehr. Die Ukrainer geraten in der großen Artillerieschlacht mit den Russen aber auch deshalb ins Hintertreffen, weil die Europäer ihr Munitionsversprechen nicht halten konnten. Putin dagegen feuert, von Iran und Nordkorea unterstützt, aus allen Rohren.

Berlin brauchte nach Scholz’ Zeitenwenderede eine Weile, um nicht nur „Schlafsäcke und Helme“ (Macron) in die Ukraine zu schicken, ließ danach bei den........

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