Wer in den vergangenen zwei Jahren nach der Strategie des Westens fragte, wie der Kreml zum Rückzug aus der Ukraine gezwungen werden soll, bekam oft den Frosch im Kochtopf vorgesetzt: Putin sollte weichgekocht werden, aber nur langsam, um einer Eskalation des Krieges vorzubeugen. Bleibt man in diesem Bild, dann ist fest­zustellen: Die Kröte im Kreml ist so lebendig und aggressiv wie zu Beginn des Überfalls. Inzwischen muss man sich fragen, ob nicht Putin der Koch ist und der „kollektive Westen“ der Frosch.

Symptome der Kriegsmüdigkeit sind jedenfalls eher bei den Unterstützern der Ukrainer zu entdecken als in Russland, das auf Putins Geheiß alle seine Kräfte mobilisiert, um diesen Krieg zu gewinnen. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft und die großrussische Eroberungspropaganda deuten darauf hin, dass Putin sich sogar schon auf den nächsten Feldzug vorbereitet.

Etwas anderes als blutigen Ruhm bei der abermaligen Unterjochung von schon zu Sowjetzeiten beherrschten Nationen hat der Diktator den Russen nicht zu bieten. Das Lebenselixier seines Regimes ist die Gewalt, innerhalb und jenseits von Russlands Grenzen.

Nach Jahren der Selbsttäuschung und des Appeasements ist es auch den meisten Parteien und Politikern in Deutschland klar geworden, dass Putin in der Ukraine aufgehalten werden muss – der Ukrainer halber, aber auch weil die auf Hochtouren laufende russische Kriegsmaschine nach einem Triumph dort nicht haltmachen würde. Deutschland ist nicht aus „Kriegsbesoffenheit“ (Wagenknecht) zum zweitgrößten Waffenlieferanten für die Ukraine geworden, sondern weil die Ukrainer am Dnipro die Freiheit und die Sicherheit ganz Europas verteidigen. Wenn der Kreml die Ukraine überrollte, hätte sich zumindest aus Moskauer Sicht bewahrheitet, was Putin schon immer denkt: dass der „dekadente“ Westen zu schwach ist, um einem zu allem entschlossenen Gegner Paroli zu bieten. Putin aber nutzte Schwäche immer und überall aus, wenn er sie witterte.

Dass der Westen der Ukraine nicht mit der Konsequenz beisprang, die man angesichts der Beistandsschwüre hätte erwarten können, hat Putin gewiss nicht als Stärke gewertet. Mit der Lieferung schwerer Waffen hatte sich nicht nur Deutschland anfangs schwergetan. Die Entsendung eigener Soldaten bleibt bis heute ein Tabu. Auch aus dem deutschen Taurus-Theater kann Putin eigentlich nur einen Schluss ziehen: dass der Westen aus Angst vor einer Eskalation des Krieges – der „Frosch“ hat Atombomben – der Ukraine Waffen vorenthält, die den Aggressor härter treffen würden als das schon gelieferte Gerät.

Das, was die Ukraine bekam, reichte aber nicht, um die russischen Linien im Süden und Osten des Landes zu durchbrechen und so Druck auf Putin auszuüben. Nun ist wegen des Wahl- und Machtkampfs in Amerika der Nachschub an Waffen und Munition sogar derart ins Stocken geraten, dass die Ukrainer die Russen nur noch mit größter Mühe am neuerlichen Vorrücken hindern können. Für Putin ist Trump schon jetzt ein Lottogewinn. Die USA, der Rolle des Weltpolizisten müde und politisch zutiefst gespalten, geben Terrain preis, das sie nie aufgeben dürften, und verspielen ihren Ruf als verlässliche Verbündete.

Der Neoisolationismus der Amerikaner wirft auch für Deutschland Fragen auf, um deren Beantwortung sich die Regierung Scholz drückt. Es war richtig, dass Berlin sich in der Konfrontation mit Putin an dem Kurs orientierte, den die Führungsmacht des Westens unter ihrem Präsidenten Biden eingeschlagen hat. Doch der Bereitschaft Trumps, die Ukraine und sogar NATO-Staaten Putin auszuliefern, dürfte Berlin nicht folgen. Wenn sich die amerikanische Zeitenwende der Abwendung von Europa verfestigt, womit leider zu rechnen ist, dann muss Deutschland endlich die Führungsrolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik übernehmen, die häufig angekündigt wird. Doch Berlin fremdelt immer noch mit ihr, weil dann weitreichende, mit Risiken und Kosten behaftete Entscheidungen getroffen werden müssten, die wenig populär sein würden.

Selbst jetzt, da glasklar ist, welche dauerhafte Kriegsgefahr von Putin ausgeht, wagt kaum ein deutscher Politiker die Umstellung auf Kriegswirtschaft zu fordern oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu verlangen, von einer Debatte über die Zukunft der nuklearen Abschreckung ganz zu schweigen. Sowohl beim Blick nach Osten wie auch nach Westen setzt die Regierung Scholz auf das Prinzip Hoffnung: dass es schon nicht ganz so schlimm komme.

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Verantwortungsvolle Politik muss sich aber auch auf den Worst Case vorbereiten. Und der heißt nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Deutschland und ganz Europa: Putin rückt vor, Trump zieht ab. Wer nicht dem Gebot der Stunde folgt und der Ukraine sofort alle Waffen liefert, die er entbehren kann, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Albtraum Wirklichkeit wird.

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Der schlimmste Fall für Deutschlands Sicherheit

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23.02.2024

Wer in den vergangenen zwei Jahren nach der Strategie des Westens fragte, wie der Kreml zum Rückzug aus der Ukraine gezwungen werden soll, bekam oft den Frosch im Kochtopf vorgesetzt: Putin sollte weichgekocht werden, aber nur langsam, um einer Eskalation des Krieges vorzubeugen. Bleibt man in diesem Bild, dann ist fest­zustellen: Die Kröte im Kreml ist so lebendig und aggressiv wie zu Beginn des Überfalls. Inzwischen muss man sich fragen, ob nicht Putin der Koch ist und der „kollektive Westen“ der Frosch.

Symptome der Kriegsmüdigkeit sind jedenfalls eher bei den Unterstützern der Ukrainer zu entdecken als in Russland, das auf Putins Geheiß alle seine Kräfte mobilisiert, um diesen Krieg zu gewinnen. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft und die großrussische Eroberungspropaganda deuten darauf hin, dass Putin sich sogar schon auf den nächsten Feldzug vorbereitet.

Etwas anderes als blutigen Ruhm bei der abermaligen Unterjochung von schon zu Sowjetzeiten beherrschten Nationen hat der Diktator den Russen nicht zu bieten. Das Lebenselixier seines Regimes ist die Gewalt, innerhalb und jenseits von Russlands Grenzen.

Nach Jahren der Selbsttäuschung und des Appeasements ist es auch den meisten Parteien und Politikern in Deutschland klar geworden, dass........

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