Als Zyniker müsste man sich bei den russischen Geheimdiensten für ihren Coup bedanken: So detailliert wie durch die Veröffentlichung des abgehörten Offiziersgesprächs ist man noch nicht informiert worden – weder über die Einsatzmöglichkeiten des Taurus in der Ukraine noch über die Aktivitäten der Verbündeten dort und auch nicht darüber, was die Luftwaffe über den Verteidigungsminister denkt.

Für die Bundesregierung, die Bundeswehr und das Ansehen Deutschlands als verlässlicher Verbündeter stellt dieser Geheimhaltungs-GAU aber ein Desaster dar. Es ist, als hätte Putin eine Streubombe über Berlin abgeworfen.

Die Briten, auf deren Unterstützung Deutschland jedenfalls anfangs angewiesen wäre, wenn der Taurus in der Ukraine einsatzbereit gemacht werden sollte, werden sich dafür bedanken, dass nach dem Kanzler auch noch der Luftwaffenchef als Kronzeuge für das schon bestehende Engagement Londons aufgetreten ist.

Auch die Amerikaner dürften im Umgang mit ihren deutschen Gesprächspartnern Konsequenzen daraus ziehen, in dieser Internetkonferenz als schon in der Ukraine präsent geoutet worden zu sein. Das war in Fachkreisen zwar ein offenes Geheimnis. Doch werden die Amerikaner alles andere als amüsiert darüber sein, dass die Deutschen der russischen Propaganda ein solches Drei­sternegeschenk machten. Wenn auch andere Gespräche mit derartiger militärischer und politischer Brisanz so leicht abzuhören sind, dann braucht das Verteidigungsministerium keine Pressestelle mehr.

Beschädigt wird mit der Veröffentlichung aber auch der Bundeskanzler, der mit seinen eher kryptischen als klaren Äußerungen den Eindruck erweckt hatte, der Taurus könne nur von Bundeswehrsoldaten bedient werden. Das ist und bleibt für Scholz ausgeschlossen, weil es einer Kriegsbeteiligung Deutschlands gleichkomme, die es mit ihm nicht geben werde.

Selbst in seiner eigenen Koalition wurde die Behauptung, die Programmierung sei nur durch Bundeswehrsoldaten in der Ukraine oder in Deutschland möglich, unzutreffend genannt. Auch die abgehörten Generäle und Obristen stützten die Darstellung des Kanzlers nicht: Nach ausreichender Ausbildung könnten die Ukrainer – von deren Lernfähigkeit die Luftwaffenoffiziere überaus beeindruckt waren – den Marschflugkörper selbst programmieren. Kurzfristig könnten die Briten helfen.

Die Argumentationskette des Kanzlers hat aber auch noch ein Ende, das offenbar noch nicht abgehört, jedenfalls aber noch nicht veröffentlicht wurde: dass unbedingt die Kon­trolle darüber zu behalten sei, welche Ziele die Ukrainer mit dem Taurus angreifen. Das ist der eigentliche, wenn auch unausgesprochene Grund, warum Scholz darauf beharrt, dass nur deutsche Soldaten die Rakete programmieren könnten. Er meint damit: dürften. Offenbar stärker als Briten und Franzosen fürchtet der Kanzler, dass der Einsatz des Marschflugkörpers zu einer Eskalation des Krieges führen könnte.

In Berlin hält man es nicht für ausgeschlossen, dass die Ukrainer mit dem Taurus sogar Moskau beschießen könnten, stünden sie mit dem Rücken zur Wand. Und dann fällt den Strategen im Berliner Regierungsviertel die sonst gerne verdrängte Tatsache ein, dass die Russen in Königsberg mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Iskander-Raketen stationiert haben, die viel schneller in Berlin wären als der Taurus in Moskau.

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Möglicherweise ginge dem Kanzler aber auch schon die Zerstörung der Kertsch-Brücke hinüber zur Krim zu weit, die auch nach Ansicht der Luftwaffenführung ganz oben auf der Zielliste der Ukrainer steht, weil über sie ein großer Teil des russischen Nachschubs rollt. Sie ist aber auch ein Prestigeobjekt Putins, des „Frosches“, den der Westen nach wie vor nur langsam „kochen“ will, damit er auf der Eskalationsleiter nicht gleich ganz nach oben springt. Immer öfter fragt man sich aber, ob da nicht die Not der Unentschlossenheit als strategische Tugend verkauft wird. Wenn es beim derzeitigen Nachschub an Waffen und Munition bleibt, wird Putin freilich nicht einmal in hundert Jahren „gar“. Und jeden Tag sterben in der Ukraine Menschen, wird das Land weiter zerstört.

Doch noch immer gelingt es dem Kreml, den Westen davon abzuschrecken, der Ukraine mit aller Macht beizustehen. Auch nutzt Moskau jede Gelegenheit, um das Lager seiner Gegner zu spalten, an der Stelle hat Pistorius recht. Dann darf man Putin aber nicht auch noch die Munition dazu liefern, wie die Bundeswehr es nun tat. Die politische Verantwortung dafür tragen der zuständige Minister und vor allem der Kanzler, der sogar schon in seiner eigenen Koalition die Lufthoheit über die Taurus-Debatte verlor, wenn er sie denn je besaß. Putin setzt den Hebel aber immer dort an, wo er die größte Wirkung hat: an der schwächsten Stelle.

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Deutschland hat Putin Munition geliefert

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04.03.2024

Als Zyniker müsste man sich bei den russischen Geheimdiensten für ihren Coup bedanken: So detailliert wie durch die Veröffentlichung des abgehörten Offiziersgesprächs ist man noch nicht informiert worden – weder über die Einsatzmöglichkeiten des Taurus in der Ukraine noch über die Aktivitäten der Verbündeten dort und auch nicht darüber, was die Luftwaffe über den Verteidigungsminister denkt.

Für die Bundesregierung, die Bundeswehr und das Ansehen Deutschlands als verlässlicher Verbündeter stellt dieser Geheimhaltungs-GAU aber ein Desaster dar. Es ist, als hätte Putin eine Streubombe über Berlin abgeworfen.

Die Briten, auf deren Unterstützung Deutschland jedenfalls anfangs angewiesen wäre, wenn der Taurus in der Ukraine einsatzbereit gemacht werden sollte, werden sich dafür bedanken, dass nach dem Kanzler auch noch der Luftwaffenchef als Kronzeuge für das schon bestehende Engagement Londons aufgetreten ist.

Auch die Amerikaner dürften im Umgang mit ihren deutschen Gesprächspartnern Konsequenzen daraus ziehen, in dieser Internetkonferenz als schon in der Ukraine präsent geoutet worden zu sein. Das war in Fachkreisen zwar ein offenes Geheimnis. Doch werden die Amerikaner alles andere als amüsiert........

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