Taurus oder nicht Taurus, das ist bei Weitem nicht die einzige Frage. Aber sie geht nicht dadurch weg, dass der Kanzler sie offenlässt. Sie stellt sich sogar immer dringlicher, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine den Krieg gegen den russischen Aggressor verliert, nicht kleiner, sondern größer wird. Ein Triumph Putins auf diesem Schlachtfeld aber hätte dramatische Folgen für die Sicherheit des freien Europas und damit auch Deutschlands.

Im Verlauf dieses nun schon zwei Jahre tobenden Krieges konnte man freilich den Eindruck gewinnen, dass Berlin nicht nur die Niederlage Kiews fürchtet, sondern auch eine Niederlage Moskaus. Im Regierungsviertel ging und geht immer noch die nicht völlig unberechtigte Sorge um, Putin könnte sich, vor einer militärischen Demütigung stehend, zur Eskalation gezwungen sehen: entweder mittels des von ihm angedrohten Einsatzes von Nuklearwaffen oder gar mit einem (hybriden) Angriff auf die NATO.

Die Ukrainer sollten daher zwar Moskau militärisch unter Druck setzen, aber nicht mit Mann und Ross und Wagen schlagen. Scholz forderte daher auch nie einen „Sieg“ über Russland. Man wollte, wie der westliche Schlachtplan umschrieben wurde, den Frosch so langsam kochen, dass er es nicht merkt.

Der Frosch ließ sich aber nicht weichkochen, sondern warf immer mehr Menschen und Material an die Front, während der Westen, auch die Führungsmacht Amerika, aus den genannten Gründen mit der Lieferung von über größere Distanzen wirkenden Waffen wie Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern zögerte. Die allein sind nicht kriegsentscheidend. Doch würde die Ukraine mit ihnen weit hinter den Minenfeldern den Invasionstruppen Schläge versetzen können, die diese deutlich schwächten – auch deren Fähigkeit, selbst wieder zur Offensive antreten zu können, wenn der Frühling kommt.

Die Zögerlichkeit des Westens begrenzt aber nicht nur die Möglichkeiten der Ukrainer, Munitionsdepots, Kommandozentralen und Nachschubwege der Russen bekämpfen zu können. Die Zurückhaltung sendet leider auch ein Signal an Putin, das der nicht als ein Zeichen der Vernunft versteht, sondern als einen Ausdruck von Angst – die er selbst nicht hat, wie nun auch der Einsatz von weitreichenden Raketen aus Nordkorea zeigt, die er auf ukra­inische Städte abfeuern lässt. Putin nutzt zur Zerstörung der Ukraine alles, was er hat und bekommen kann, abgesehen nur von Massenvernichtungswaffen.

Dass die Ukrainer mit vergleichbarer Gewalt gegen Ziele in Russland zurückschlagen, muss der Kreml nicht befürchten. Der Westen hat Kiew, das gar nicht die Mittel zu massiver Vergeltung hätte, geradezu verboten, den Krieg nach Russland zu tragen. Selbst Angriffe auf die Brücke zur Krim, über die ein großer Teil des russischen Nachschubs im Süden läuft, sollen besser unterbleiben.

Auch aus den Verweisen der Bundesregierung auf die Reichweite des Taurus spricht die Sorge, die Ukrainer könnten ihn gegen Putins Prestigeobjekt oder gar gegen militärische Ziele in Russland einsetzen – was vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt wäre. Kiew hat mehrfach versichert, Letzteres nicht tun zu wollen. Doch offenkundig genügt das der Bundesregierung nicht. Der Eiertanz um den Taurus ist auch ein Misstrauensvotum gegenüber Kiew, das sich bisher an seine Zusagen im Zusammenhang mit Waffenlieferungen gehalten hat.

Die Frage, was die Treueschwüre aus dem Westen wert sind, stellt man sich aber nicht nur in der Ukraine, sondern sicher auch in Moskau. Die wachsenden Zweifel an der Haltbarkeit des westlichen Beistands unterminieren auch die Abschreckungskraft der NATO mit Blick auf das eigene Bündnisgebiet.

Gewönne Moskau den Krieg um die Ukraine, auch weil sich der Westen aus der Sicht des Kremls als zu schwach und zu furchtsam erwiesen hätte, dann würde das Putins Aggressivität nicht bremsen – schon gar nicht, wenn Trump II. den nuklearen Schutzschirm über Europa zusammenklappte. Von dessen Abschreckungswirkung ist auch die Sicherheit Deutschlands abhängig – abhängiger denn je angesichts des beklagenswerten Zustands der Bundeswehr.

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Es spricht also nicht nur, aber besonders auch aus deutscher Sicht alles dafür, Putin schon in der Ukraine aufzuhalten. Das geht, so man keine eigenen Truppen schicken will, nur mit einer Ausweitung der Waffenlieferungen. Wenn Amerika als Unterstützer ausfiele, worauf Putin setzt, müssten die Europäer weit mehr tun als bisher, was nicht zuletzt auch für Frankreich gilt.

Die Europäer müssen die Rüstungsproduktion mindestens so schnell hochfahren wie Moskau, um nicht mit jedem Panzer und jeder Patrone, die sie in die Ukraine liefern, die eigene Verteidigungs- und damit Abschreckungsfähigkeit zu schwächen. Vor allem aber müssen die westlichen Demokratien Putin zeigen, dass sie nicht einknicken, wenn er mit dem Säbel rasselt. Daher sollte Berlin nun auch den Taurus liefern.

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Deutschland muss den Taurus liefern

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17.01.2024

Taurus oder nicht Taurus, das ist bei Weitem nicht die einzige Frage. Aber sie geht nicht dadurch weg, dass der Kanzler sie offenlässt. Sie stellt sich sogar immer dringlicher, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine den Krieg gegen den russischen Aggressor verliert, nicht kleiner, sondern größer wird. Ein Triumph Putins auf diesem Schlachtfeld aber hätte dramatische Folgen für die Sicherheit des freien Europas und damit auch Deutschlands.

Im Verlauf dieses nun schon zwei Jahre tobenden Krieges konnte man freilich den Eindruck gewinnen, dass Berlin nicht nur die Niederlage Kiews fürchtet, sondern auch eine Niederlage Moskaus. Im Regierungsviertel ging und geht immer noch die nicht völlig unberechtigte Sorge um, Putin könnte sich, vor einer militärischen Demütigung stehend, zur Eskalation gezwungen sehen: entweder mittels des von ihm angedrohten Einsatzes von Nuklearwaffen oder gar mit einem (hybriden) Angriff auf die NATO.

Die Ukrainer sollten daher zwar Moskau militärisch unter Druck setzen, aber nicht mit Mann und Ross und Wagen schlagen. Scholz forderte daher auch nie einen „Sieg“ über Russland. Man wollte, wie der westliche Schlachtplan umschrieben wurde, den Frosch so langsam kochen, dass er es nicht merkt.

Der Frosch........

© Frankfurter Allgemeine


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