Haben wir vergessen, die Bestellung abzuschicken? Nicht nur einmal in seiner politischen Laufbahn hatte Olaf Scholz gesagt, wer bei ihm Führung bestelle, müsse wissen, dass er sie dann auch bekomme. Als Kanzler aber erwies er sich bisher nur selten als der Anführer, den die Deutschen an der Spitze ihrer Regierung sehen wollen: einen, der seiner Partei, seiner Koalition und vor allem den Bürgern sagt, wo es langgeht, und dann durchsetzt, was er für richtig hält. Gerade in stürmischen Zeiten braucht das Land die Gewissheit, in den richtigen, in starken Händen zu sein. Gäbe es ein politisches Umtauschrecht, dann würden wohl noch vor Weihnachten viele Wähler Gebrauch davon machen, obwohl auch das Angebot der Opposition nicht blitzt und funkelt wie der Christkindlesmarkt in Nürnberg.

Die Enttäuschung über Scholz ist auch deshalb so groß, weil es zu Beginn seiner Amtszeit so aussah, als würde er der Kanzler sein, den er der Republik in Aussicht gestellt hatte. In der dunkelsten Stunde Europas seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hielt er eine Rede, die Churchill-Format hatte. Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilte Scholz nicht nur Putins Aggression. Er verkündete eine 180-Grad-Wende in der deutschen Russland- und Sicherheitspolitik einschließlich bis dahin in seiner Partei unvorstellbarer Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Verteidigungsfähigkeit. Zuvor hatte er weder den Koalitionspartnern noch der SPD lange den Puls gefühlt. Der Kanzler entschied, und die Partei, die ihn nicht als Vorsitzenden hatte haben wollen, folgte.

Nach diesem Paukenschlag wurde der Trommelwirbel aus dem Kanzleramt allerdings immer leiser. Schon beim Thema Ukraine wusste man bald nicht mehr genau, welches Ziel der Kanzler verfolgt. Dass Kiew den ihm aufgezwungenen Krieg gewinnen müsse, kam ihm anders als anderen westlichen Politikern nicht über die Lippen. Das Zögern bei der Lieferung von am Ende dann doch zur Verfügung gestellten Waffen dürfte jedenfalls im Kreml nicht als Zeichen von Mut angesehen worden sein. Dass Scholz trotz des prekären Zustands der Bundeswehr an einer unfähigen Verteidigungsministerin festhielt, bis die sich selbst zu Fall brachte, war kein Ausweis von Führungsstärke.

Zum großen Kommunikator ist Scholz auch auf den anderen Politikfeldern nicht geworden. Als Redner stellte ihn sein Vize Habeck von Anfang an in den Schatten. Das Mitteilungsbedürfnis des Kanzlers dagegen ist begrenzt. Die einzige Botschaft, die er stets verströmt, lautet: Ich weiß schon, was ich tue, und das sollte euch reichen.

Selbstgespräche des Kanzlers, sosehr sie von Unfehlbarkeit durchzogen sein mögen, genügen aber nicht in Zeiten, in denen Krisen und Kriege die Bürger in Angst und Schrecken versetzen. Diese Regierung ist nicht verantwortlich dafür, dass Putin die Ukraine überfiel und auch Deutschland den Gashahn abdrehen konnte. Doch das Krisenmanagement der Ampel hat die Sorgen der Bürger nicht verkleinert, sondern deren Verunsicherung noch vergrößert. Nach der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke, dem Chaos um das Heizungsgesetz aus dem Ideologielabor und vor allem nach der präzedenzlosen Klatsche aus Karlsruhe fehlt vielen Deutschen der Glaube, von einem Pragmatiker regiert zu werden, der sein Handwerk beherrscht.

Als Finanzminister unter Merkel hatte Scholz sich den Ruf erworben, eine Mischung aus hanseatischem Kaufmann und schwäbischem Hausmann zu sein: wortkarg, aber seriös und kompetent. Ein Sozi, der mit Geld umgehen kann. Doch seit dem vernichtenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist dieser Nimbus weg. In den Umfragen begleitet der Kanzler jetzt seine Partei hinunter ins zweite Tiefgeschoss.

Auf dem Weg zurück ans Tageslicht steht Scholz die Koalition im Weg, die ihn zum Kanzler wählte. Die Ampel ist und bleibt eine Mesalliance. Es wuchs auch in zwei Jahren nicht zusammen, was von Beginn an politisch unvereinbar war. Die Koalition muss viel zu viel ihrer Energie und Zeit auf die Bewältigung ihrer eigenen Krisen verwenden. Die Aussichten, dass sich das dauerhaft ändert, sind nicht sehr groß. Wie soll Scholz die Streithähne zur Ruhe bringen, wenn das Opium der Milliardenkredite nicht mehr zur Verfügung steht und die eigene Partei von ihm fordert, endlich einmal für die Ziele der SPD zu kämpfen? Wie kann er FDP und Grüne so an die Kandare nehmen, dass sie mit vereinten Kräften den Karren aus dem Dreck ziehen, in den die Koalition ihn fuhr?

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Man darf vermuten, dass Scholz dafür, wie für alles, einen Plan hat (den freilich wieder allein er kennt). Die Republik kann nur hoffen, dass der besser funktioniert als die Rohrkrepierer, die schon auf das Konto der Ampel gehen. Denn freiwillig aufgeben, dieser Hoffnung braucht sich niemand hinzugeben, werden dieser Kanzler und seine Koalitionspartner nicht.

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Ein Kanzler ohne Kredit

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09.12.2023

Haben wir vergessen, die Bestellung abzuschicken? Nicht nur einmal in seiner politischen Laufbahn hatte Olaf Scholz gesagt, wer bei ihm Führung bestelle, müsse wissen, dass er sie dann auch bekomme. Als Kanzler aber erwies er sich bisher nur selten als der Anführer, den die Deutschen an der Spitze ihrer Regierung sehen wollen: einen, der seiner Partei, seiner Koalition und vor allem den Bürgern sagt, wo es langgeht, und dann durchsetzt, was er für richtig hält. Gerade in stürmischen Zeiten braucht das Land die Gewissheit, in den richtigen, in starken Händen zu sein. Gäbe es ein politisches Umtauschrecht, dann würden wohl noch vor Weihnachten viele Wähler Gebrauch davon machen, obwohl auch das Angebot der Opposition nicht blitzt und funkelt wie der Christkindlesmarkt in Nürnberg.

Die Enttäuschung über Scholz ist auch deshalb so groß, weil es zu Beginn seiner Amtszeit so aussah, als würde er der Kanzler sein, den er der Republik in Aussicht gestellt hatte. In der dunkelsten Stunde Europas seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hielt er eine Rede, die Churchill-Format hatte. Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilte Scholz nicht nur Putins Aggression. Er verkündete eine 180-Grad-Wende in der deutschen Russland-........

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