Wäre Donald Trump nur ein Rentner, der in Florida beim Angeln vor sich hin brabbelt, dann könnte man sagen: Ach Gott, der Trump. Doch dieser Mann ist auf dem Weg zurück ins Weiße Haus. Sein Wiedereinzug würde Folgen auch für Europa haben, die man sich nicht ausmalen will, aber muss. Malen genügt freilich nicht. Deutschland muss sich endlich mit aller Konsequenz darauf vorbereiten, dass das Rückgrat seiner Sicherheit vor militärischen Angriffen und politischer Erpressung wegbrechen könnte.

Dieses Rückgrat besteht hauptsächlich aus der im NATO-Vertrag verbrieften Zusage der Supermacht Amerika, einen Angriff auf einen Verbündeten als Angriff auf sich selbst zu betrachten und entsprechend zu handeln. Kein anderer Verbündeter Deutschlands hat so große militärische Macht wie die USA; kein anderer spannt über Deutschland den Schutzschirm der Abschreckung mit Nu­klearwaffen auf.

Auf dessen Überzeugungskraft ist Deutschland so angewiesen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Anders als die Sowjetführer nach Stalin gibt Putin sich nicht mit dem Status quo in Europa zufrieden. Er führt konventionelle Eroberungskriege unter expliziter Androhung des Einsatzes seines Atomwaffenarsenals.

Diese Drohungen blieben nicht ohne Wirkung. Die deutsche Regierung gibt sich die größte Mühe, nichts zu tun oder auch nur sagen, das zu einer Eskalation des russischen Angriffskrieges in der Ukraine führen könnte. Der Westen beteiligt sich daher auch nicht mit eigenen Truppen an der Verteidigung des Überfallenen, was völkerrechtlich zulässig wäre. Auch die Weigerung Berlins, den Ukrainern Taurus-Raketen zu liefern, wird mit der Sorge begründet, Putin könnte danach noch brutaler zuschlagen, konventionell oder gar nuklear, gegen die Ukraine oder gegen NATO-Staaten.

Während Putin also den Westen erfolgreich davon abschreckt, der überfallenen Ukraine mit aller Macht zu helfen, droht das Abschreckungsgebäude der NATO in sich zusammenzusinken. Abschreckung gelingt nur dann, wenn der potentielle Angreifer weiß, dass die Gegenseite die Mittel und den Willen hätte, ihm selbst nach einem Angriff unerträglichen Schaden zuzufügen. Schon seit den ersten amerikanischen Erklärungen zur „erweiterten Abschreckung“ hat es Zweifel gegeben, ob die Amerikaner wirklich bereit wären, zur Verteidigung ihrer Verbündeten einen Krieg mit Nuklearwaffen zu führen, der mit der eigenen Vernichtung enden könnte.Doch noch niemand hat die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Sicherheitsgarantie für die Europäer so erschüttert wie der frühere und möglicherweise auch künftige Präsident Trump.

Er hatte schon während seiner ersten Präsidentschaft deutlich gemacht, dass ihn das Schicksal Europas nicht interessiert und er die NATO für Geldverschwendung hält. Seine strategische Dummheit scheint in den drei Jahren, in denen sein Denken um Rache und Rückkehr kreiste, aber sogar noch zugenommen zu haben. Europa Putin zu überlassen würde Amerika nicht stärker machen. Trump aber befahl noch vor seiner Bestätigung als Kandidat den kadavergehorsamen Republikanern, die Unterstützung für Kiew zu blockieren. Mit seinen jüngsten Äußerungen stellte er Putin einen Freibrief aus, auch mit NATO-Mitgliedern zu tun, was immer er wolle.

Doch die Regierung Scholz scheint nach wie vor darauf zu bauen, dass es schon nicht so schlimm kommen werde, weil vielleicht der Atlantiker Biden Präsident bleibe oder Trump nicht so heiß esse, wie er koche; Deutschland erfülle jetzt ja das Zwei-Prozent-Ziel. Wer sich freilich von einem geltungssüchtigen Prahlhans wie Trump abhängig macht, spielt amerikanisches Roulette mit der deutschen Sicherheit. Zudem ist Trump nicht ein singulärer Problemfall. Er ist das schrillste Symptom für eine generelle Abwendung Amerikas von Europa, die auch ein Präsident Biden in seiner zweiten Amtszeit nicht aufhalten könnte.

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Die Regierung Scholz darf daher nicht länger den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass der Albtraum Trump vorbei ist, wenn sie ihn wieder herauszieht. Die Europäer müssen ohne jeden weiteren Verzug massiv konventionell aufrüsten. Sie müssen aber auch über Nuklearstreitkräfte verfügen, die das Gleichgewicht des Schreckens in Europa wiederherstellen können, das von Amerika aus so gestört wird, wie Moskau sich es nie zu hoffen gewagt hatte.

Warum hat Scholz noch immer nicht auf die Angebote Macrons reagiert, darüber zu sprechen, ob und wie Deutschland unter den (viel kleineren) französischen Nuklearschirm schlüpfen könnte? Weil Le Pen schon sagte, wenn sie Präsidentin werde, könne Berlin das gleich wieder vergessen? Die Ampel, so scheint es, will gar nicht erst anfangen, über eine alternative nukleare Abschreckung nachzudenken, weil sie fürchtet, dass am Ende das letzte Tabu der deutschen Sicherheitspolitik fallen müsste: der Verzicht auf eigene Atomwaffen.

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Scholz spielt amerikanisches Roulette

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12.02.2024

Wäre Donald Trump nur ein Rentner, der in Florida beim Angeln vor sich hin brabbelt, dann könnte man sagen: Ach Gott, der Trump. Doch dieser Mann ist auf dem Weg zurück ins Weiße Haus. Sein Wiedereinzug würde Folgen auch für Europa haben, die man sich nicht ausmalen will, aber muss. Malen genügt freilich nicht. Deutschland muss sich endlich mit aller Konsequenz darauf vorbereiten, dass das Rückgrat seiner Sicherheit vor militärischen Angriffen und politischer Erpressung wegbrechen könnte.

Dieses Rückgrat besteht hauptsächlich aus der im NATO-Vertrag verbrieften Zusage der Supermacht Amerika, einen Angriff auf einen Verbündeten als Angriff auf sich selbst zu betrachten und entsprechend zu handeln. Kein anderer Verbündeter Deutschlands hat so große militärische Macht wie die USA; kein anderer spannt über Deutschland den Schutzschirm der Abschreckung mit Nu­klearwaffen auf.

Auf dessen Überzeugungskraft ist Deutschland so angewiesen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Anders als die Sowjetführer nach Stalin gibt Putin sich nicht mit dem Status quo in Europa zufrieden. Er führt konventionelle Eroberungskriege unter expliziter Androhung des Einsatzes seines Atomwaffenarsenals.

Diese Drohungen blieben nicht ohne Wirkung. Die deutsche........

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