Nun kann man sagen, es sei ja nur ein Bericht in der britischen Boulevardzeitung „The Sun“: schlechter Journalismus in einem antieuropäischen, rechtskonservativen, antideutschen Blatt. Da kann es ja gar nicht anders sein, als dass Frankfurt als Spielort für das Europameisterschaftsspiel zwischen England und Dänemark so negativ wie möglich beschrieben wird: 5000 schlurfende Junkies, 300 Dealer, massive Aggressivität, im Durchschnitt vier Attacken auf offener Straße am Tag – und genau dort sollten sich die englischen Fans gemäß der Reisehinweise der UEFA bevorzugt ein Hotelzimmer suchen. Schon ist eine gute Geschichte für den britischen Boulevard fertig, mehr aber auch nicht, oder?

Es wäre fatal, auf so etwas mit einem Schulterzucken zu reagieren und zu sagen, die Briten sollten vor ihren eigenen Haustüren in ihren Problemvierteln kehren. Die Eltern daheim haben früher immer gesagt, was die anderen Kinder machten, interessiere sie nicht. Das eigene Verhalten sei das, was zähle. Am Überbringer der Botschaft zählt für Frankfurt deshalb nicht, wie schlecht das Blatt ist, sondern welche Aufmerksamkeit es erreicht.

Und an der in diesem Fall auch noch weitgehend zutreffenden Zustandsbeschreibung des Bahnhofsviertels ändert der Verweis auf Problemviertel auf der anderen Seite des Ärmelkanals ebenfalls nichts. Es ist die immer dringendere Pflicht der Stadt, die Schwierigkeiten im Bahnhofsviertel so gut in den Griff zu bekommen, dass sich die Gäste, denen Frankfurt bei der Ankunft am Bahnhof eine Art Visitenkarte zeigt, nicht entsetzt abwenden.

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Man mache ja schon so viel, könnte man nun im Römer sagen: mehr Razzien, mehr Streifen, eine Waffenverbotszone (die die Koalition nicht zustande bekommen hätte, wenn der Oberbürgermeister nicht dafür gesorgt hätte), mehr Sozialarbeiter, mehr Betreuungsplätze, mehr Videoüberwachung (im Römer ebenfalls umstritten). Das trifft zu, und doch ist es nicht genug.

Wenn ein Kandidat, der das Amt des IHK-Präsidenten anstrebt, bei seiner Tour durch die Unternehmen stets vorgetragen bekommt, wie sehr das Bahnhofsviertel die Bemühungen behindere, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, ist ein völliges Umdenken gefordert. Alles, was getan wird, um den Standort zu bewerben, wird sonst konterkariert. Bis zu einer durchgreifenden Besserung braucht es jeden Tag eine neue Idee, die die Situation verbessert. Bis es kein Thema mehr ist. Denn kein anderes schadet der Stadt so sehr wie dieses.

QOSHE - Das Bahnhofsviertel der Schande - Carsten Knop
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Das Bahnhofsviertel der Schande

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12.04.2024

Nun kann man sagen, es sei ja nur ein Bericht in der britischen Boulevardzeitung „The Sun“: schlechter Journalismus in einem antieuropäischen, rechtskonservativen, antideutschen Blatt. Da kann es ja gar nicht anders sein, als dass Frankfurt als Spielort für das Europameisterschaftsspiel zwischen England und Dänemark so negativ wie möglich beschrieben wird: 5000 schlurfende Junkies, 300 Dealer, massive Aggressivität, im Durchschnitt vier Attacken auf offener Straße am Tag – und genau dort sollten sich die englischen Fans gemäß der Reisehinweise der UEFA bevorzugt ein Hotelzimmer suchen. Schon ist eine gute Geschichte für den britischen Boulevard fertig, mehr aber auch........

© Frankfurter Allgemeine


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