Wir erleben eine Welt in Aufruhr. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Zeit, in der sich Deutschland so vielen gewaltigen Herausforderungen gleichzeitig stellen musste. Dieser gefährliche Cocktail droht zu einer Krise von Demokratie und Politik in Deutschland zu werden, denn viele Menschen sind verunsichert, weil sie das Gefühl haben, dass die Demokratie ihr zen­trales Versprechen nicht mehr einlöst: Politik für die Mehrheit der Menschen zu machen.

Alle Sätze bis hierher stammen aus der Regierungserklärung, die der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) im Landtag in Wiesbaden abgegeben hat. Sie sind wahr. Und nun muss seine Regierung danach handeln. Vor allem den Ministern, die neu ihre Ämter übernommen haben, sei dabei zugerufen: Eine Legislaturperiode von fünf Jahren wirkt nur dann lang, wenn man am ersten Tag nach der Ernennung darauf schaut. Wenn man daraus den Schluss zieht, man habe nun Zeit, sich die Dinge einmal genauer anzuschauen, bevor man Entscheidungen trifft, hat man den entscheidenden Fehler gemacht, von dem man sich in der gesamten Amtszeit nicht mehr erholen wird.

In jeder Führungsrolle, auch in der Wirtschaft, gilt: Der Ton, der am Anfang gesetzt wird, definiert die gesamte Amtszeit. Selbst die Erzählung von den „ersten hundert Tagen“, in denen man Zeit habe, ist ein Märchen. Das gilt für alle Kabinettsmitglieder, besonders aber für diejenigen, die sich um wirtschaftliche Themen zu kümmern haben. Denn es ist Gefahr im Verzug, und es gibt kein Erkenntnisproblem: Die deutsche Wirt­schaft hat das Jahr 2023 mit einer Rezession beendet.

Alle wachsen – nur Deutschland schrumpft. Wir sind Schlusslicht in Europa. Das war wieder ein Zitat aus der Regierungserklärung, Zeit für weitere Einarbeitung ist nicht vorhanden oder nötig: Die Menschen wollen Ergebnisse politischen Handels sehen, die sich nicht in Murks verwandeln, sondern das Land nach vorne bringen. Wenn man die Themen überbordende Bürokratie, hohe Unternehmenssteuern, teuren Strom und fehlende Fachkräfte angehen will, muss man jetzt anfangen.

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Da reicht ein Hessenfonds nicht aus. In Berlin muss sich Wiesbaden dafür einsetzen, dass Rentengeld endlich Rendite abwirft, der deutschen Wirtschaft zur Hilfe kommt, Innovationen zu finanzieren. Rhein hat aber nicht nur von einem Hessenfonds gesprochen, sondern auch von einem „Paket“ für Planungs- und Bürokratieabbau, von einem „Landespaket“ für die berufliche Bildung, von einem „Hessenvertrag“ sowieso. Vertrag, das klingt wieder nach Bürokratie, und die „Pakete“ wird man wohl auch erst schnüren müssen, wie es so schön heißt. Das neue Kabinett aber darf sich nicht mit dem Verpacken aufhalten, sondern sollte schnell in die Zustellung wechseln. Einfach Politik für die Mehrheit der Menschen machen: sich selbst beim Wort nehmen, vom ersten Tag an.

QOSHE - Keine Bedenkzeit für die neuen Minister - Carsten Knop
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Keine Bedenkzeit für die neuen Minister

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26.01.2024

Wir erleben eine Welt in Aufruhr. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Zeit, in der sich Deutschland so vielen gewaltigen Herausforderungen gleichzeitig stellen musste. Dieser gefährliche Cocktail droht zu einer Krise von Demokratie und Politik in Deutschland zu werden, denn viele Menschen sind verunsichert, weil sie das Gefühl haben, dass die Demokratie ihr zen­trales Versprechen nicht mehr einlöst: Politik für die Mehrheit der Menschen zu machen.

Alle Sätze bis hierher stammen aus der Regierungserklärung, die der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) im Landtag in Wiesbaden abgegeben hat. Sie sind wahr. Und nun muss seine Regierung danach handeln. Vor allem den Ministern, die neu ihre Ämter übernommen haben, sei dabei zugerufen: Eine Legislaturperiode von........

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