Man hat das Gefühl, halb Deutschland gehe derzeit auf die Barrikaden. Für die verzärtelten Klimakleber, die gegen die Erderwärmung agitieren, ist es zwar zu kalt draußen. Dafür blockieren jetzt die wettererprobten Landwirte die Straßen. Auch die Lokführer streiken mal wieder. Fehlt nur noch, dass sich Binnenschiffer und Piloten dazugesellen – dann ginge gar nichts mehr im Verkehr. Auch andere unentbehrliche Dienstleister lassen die Muskeln spielen, erst waren es die Apotheker, dann die Hausärzte. Zwischen den Jahren schlossen viele Praxen als Zeichen gegen Bürokratismus und Honorarbegrenzungen.

Am Dienstag hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf einem Krisengipfel den Medizinern einen Vorschlag zur Güte unterbreitet. Dass er vor den Protesten eingeknickt wäre, kann man nicht behaupten. Sein zentrales Angebot, die Streichung der hausärztlichen Budgets, steht schon seit zwei Jahren im Koalitionsvertrag. Das Entbürokratisierungsprogramm enthält vor allem Entschlackungen bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen und für Psychotherapeuten. Geplant sind für all diese Neuerungen zwei Versorgungsstärkungsgesetze, die in die richtige Richtung weisen.

Wichtig ist auch, dass die Anbieter von Praxisverwaltungssystemen über Anreize und Druck dazu gebracht werden, endlich brauchbare Lösungen für die elektronische Patientenakte zu ermöglichen. Ärzte, Patienten, Forscher brauchen sie dringend, aber bisher machen Soft- und Hardware nur Ärger. Immerhin gibt es das E-Rezept seit Jahresanfang flächendeckend, allerdings mit Anlaufschwierigkeiten.

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Die neuen Verfahren zur Honorierung, zur Kommunikation und zum Datenaustausch sind nötig, damit weniger Zeit in Wartezimmern, beim Ausfüllen von Dokumenten und für (kreative) Abrechnungen verplempert wird und sich die Mediziner stattdessen auf die echte Patientenversorgung konzentrieren können. Auch außerhalb von Pandemien bilden die niedergelassenen Ärzte – nicht die Kliniken – das Rückgrat des Gesundheitswesens. Sie zu überlasten wäre fatal. Das heißt aber nicht, den Medizinern alle Honorarwünsche zu erfüllen. Es ist Zeit fürs Maßhalten, das gilt für den Staat genauso wie für Bauern, Lokführer und die Gesundheitsberufe.

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Maßhalten im Gesundheitswesen

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09.01.2024

Man hat das Gefühl, halb Deutschland gehe derzeit auf die Barrikaden. Für die verzärtelten Klimakleber, die gegen die Erderwärmung agitieren, ist es zwar zu kalt draußen. Dafür blockieren jetzt die wettererprobten Landwirte die Straßen. Auch die Lokführer streiken mal wieder. Fehlt nur noch, dass sich Binnenschiffer und Piloten dazugesellen – dann ginge gar nichts mehr im Verkehr. Auch andere unentbehrliche Dienstleister lassen die Muskeln spielen, erst waren es die Apotheker, dann die Hausärzte. Zwischen den Jahren schlossen viele Praxen als Zeichen gegen Bürokratismus und Honorarbegrenzungen.

Am Dienstag hat........

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