In Krisenzeiten ist eine Ja-aber-Politik verständlich, aber gefährlich. Das zeigt sich in dem Sicherheitsdilemma der Bundesregierung, dass sie der Ukraine zwar „mit allen Mitteln“ helfen will. Aber eben nicht mit Marschflugkörpern und erst recht nicht mit Bodentruppen, wie es Frankreich nicht ausgeschlossen hat. Unabhängig von der fehlenden Unterstützung im Feld bedeutet der Dissens eine Schwächung im politischen Kräftemessen mit Russland und eine Aufweichung der europäischen Allianz.

Die Klimakrise ist keine derart unmittelbare Bedrohung wie der Krieg in Europa, aber auch sie klopft laut an die Tür und kann verheerend sein. Gegen die Erderwärmung, die den Schwellenwert von 1,5 Grad vermutlich übersteigen wird, sollten gleichfalls „alle Mittel“ eingesetzt werden. Dazu gehört fraglos die CO2-arme Kernenergie, wie weisere Staaten erkannt haben. Die Reaktivierung stillgelegter Reaktoren in Deutschland hülfe schnell, der Bau neuer Anlagen dauert zwar, ist teuer und auf Uran angewiesen, also auf Brennstoff aus dem Ausland. Aber ähnliche Einschränkungen gelten auch für die Gasverstromungsanlagen in der Kraftwerksstrategie des Bundes, die anfänglich sogar fossil betrieben werden sollen.

Steuerbare Kraftwerke für Dunkelflauten wird man auch in Jahrzehnten noch brauchen, ein Endlager für den Atommüll ohnehin. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat recht, wenn er von kohlenstoffarmen Lösungen verlangt, sie müssten so „managebar“ sein wie Bergbau und Chemieindustrie. Genau das ist die günstige, sichere und dezentral einsetzbare Nukleartechnik: Gefahren lassen sich nicht ausschließen, sind aber kalkulierbar und angesichts des hohen Nutzens von Atomstrom auch akzeptabel.

Habeck bezog sich freilich nicht auf die Kernkraft, sondern auf die Abscheidung und Verwahrung oder Nutzung von CO2. Die Einlagerung wird CCS abgekürzt (Carbon Capture and Storage), die Verwertung CCU (Carbon Capture and Utilization). Habecks Carbon-Management-Strategie und das neue Speicherungsgesetz sehen vor, dass künftig beide Techniken zulässig sein sollen.

Möglich werden auch Pipelines für CO2 sowie der Export. Das bisherige Gesetz hatte 2012 die schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel (CDU) auf den Weg gebracht, ähnlich dem Kernkraftausstieg im Jahr zuvor. Seitdem sind CCS und CCU zwar nicht formell untersagt, die Mengen wurden aber beschränkt, und die Bundesländer konnten den Erprobungslagerstätten widersprechen. Nach Bürgerprotesten machten sie davon Gebrauch, darunter Schleswig-Holstein mit dem damaligen Umweltminister Habeck. Seither ist das Verfahren in Deutschland praktisch tot.

Dass derselbe Politiker CCS und CCU jetzt zulässt, ist eine Kehrtwende der Grünen und damit der Regierung. Der Knoten wird aber leider nur halbherzig durchschlagen. Habeck will den nicht vermeidbaren Treibhausgasausstoß aus der Zement- und Kalkherstellung oder aus der Müllverbrennung neutralisieren. Auch will er „Negativemissionen“ aus der Umgebungsluft ermöglichen. Solche Anwendungen sollen auch staatlich gefördert werden. Zulässig sind CCS und CCU zudem für Erdgasanlagen, die Strom oder „blauen“ Wasserstoff erzeugen. Staatshilfen soll es dafür aber nicht geben. Komplett tabu bleibt die Technik für Kohlekraftwerke.

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Diese Einschränkungen sind nicht zu begründen, wenn gleichzeitig argumentiert wird, CCS sei für die fossile Stromerzeugung ohnehin zu teuer, zu energieaufwendig, wegen fehlender CO2-Leitungen unpraktikabel und erwische auch nicht alle Emissionen. Das mag sein, spräche aber dafür, die Aussortierung dem Markt zu überlassen, nicht dem Ordnungsrecht. Ähnlich wie bei Kernkraft, E-Fuels oder Wasserstoffheizungen misstraut der grüne Teil der Regierung auch hier der eigenen (vermeintlichen) Technikoffenheit und Marktorientierung: Um zu verhindern, dass tabuisierte Lösungen sich vielleicht doch bewähren, werden sie benachteiligt oder verboten.

Für die Energiepreise und die Versorgungssicherheit ist diese Verbohrtheit schädlich, erst recht für das Klima. Solange es keine weltweiten CO2-Preise gibt und solange anderswo Nachfrage nach Kohle und Erdgas herrscht, werden die für Deutschland gedachten Mengen eben dort verfeuert – ohne jede Reinigung vom Kohlenstoff. Hinzu kommt: Je weniger Deutschland und andere große Nachfrager bestellen, desto billiger werden die fossilen Träger. Intelligenter wäre es, Gas und Steinkohle mittels CCS und CCU hierzulande weiter zu nutzen. Entscheidend ist für den Klimaschutz nicht die Energiewende zum von Grün favorisierten Ökostrom, entscheidend ist die Kohlenstoffwende. Hierzu eröffnen CCS und CCU vielversprechende Möglichkeiten, Deutschland sollte sie alle nutzen.

QOSHE - Kohlenstoffwende statt Energiewende - Christian Geinitz
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Kohlenstoffwende statt Energiewende

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05.03.2024

In Krisenzeiten ist eine Ja-aber-Politik verständlich, aber gefährlich. Das zeigt sich in dem Sicherheitsdilemma der Bundesregierung, dass sie der Ukraine zwar „mit allen Mitteln“ helfen will. Aber eben nicht mit Marschflugkörpern und erst recht nicht mit Bodentruppen, wie es Frankreich nicht ausgeschlossen hat. Unabhängig von der fehlenden Unterstützung im Feld bedeutet der Dissens eine Schwächung im politischen Kräftemessen mit Russland und eine Aufweichung der europäischen Allianz.

Die Klimakrise ist keine derart unmittelbare Bedrohung wie der Krieg in Europa, aber auch sie klopft laut an die Tür und kann verheerend sein. Gegen die Erderwärmung, die den Schwellenwert von 1,5 Grad vermutlich übersteigen wird, sollten gleichfalls „alle Mittel“ eingesetzt werden. Dazu gehört fraglos die CO2-arme Kernenergie, wie weisere Staaten erkannt haben. Die Reaktivierung stillgelegter Reaktoren in Deutschland hülfe schnell, der Bau neuer Anlagen dauert zwar, ist teuer und auf Uran angewiesen, also auf Brennstoff aus dem Ausland. Aber ähnliche Einschränkungen gelten auch für die Gasverstromungsanlagen in der Kraftwerksstrategie des Bundes, die anfänglich sogar fossil betrieben werden sollen.

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