Unter den geflügelten Worten, die Konrad Adenauer hinterließ, ist auch dieses: „Wünschen kann man vieles!“. Der Spruch hat das Zeug, einen anthropologischen Kosmos der Wunschgetriebenheit zu beschreiben, so er nicht nur als politische Stillstand-Formel eingesetzt wird nach dem Motto: Seid zufrieden mit dem, was ihr habt! Sinister und mit lang gezogenem i vorgetragen (viiieles), liest sich Adenauers Bemerkung als Warnung, nicht das Wünschbare mit dem Machbaren zu verwechseln, ein Vorschlag zur Güte, wenn man so will, bei der Formulierung von Utopien nicht den Halt zu verlieren, also nicht besoffen zu werden bei der Vorstellung, was völlig losgelöst mir alles möglich wäre, sondern das Mögliche auf seinen verborgenen Sitz im Alltag hin zu untersuchen, von dem es ja heißt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, obwohl einzelnen Gewächsen dann doch genau dies vergönnt ist, wie wir sehen.

Als Getriebene von Wunsch zu Wunsch hüpfend, sich ohne diesen Antrieb nicht lebendig fühlend, das ist der erstaunliche Übersprung, welcher aus Erwachsenen wieder Kleinkinder macht (haben, haben, haben!), die Grenzen von Ich und Welt verschwimmen lassend. Nun sind Ethiken des Maßhaltens gut und schön, immer richtig, aber der springende Punkt im Umgang mit den eigenen Wünschen ist doch ein anderer. Es geht um den abrupten oder schleichenden Präferenzwechsel, kaum nennt man das Herbeigewünschte sein eigen, das unerklärliche affektive Ablassen, den Schwund der libidinösen Besetzung. Jenes Pendeln zwischen Engagement und Enttäuschung entlang meiner Wünsche ist für jede Form der Bescherung einschlägig, sei es für die Lokomotive unterm Christbaum, den in die Ehe überführten Lebenspartner, die Waschmaschine, auf die hin so lange gespart wurde.

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Und niemand hat die sozialpsychologische Dynamik der Bescherung in ihren verschiedenen Formen derart akribisch und souverän durchdacht wie Albert O. Hirschman, US-amerikanischer Volkswirt und Sozialwissenschaftler deutscher Herkunft. Seinem Büchlein „Engagement und Enttäuschung“ stellt Hirschman die poetische Bemerkung voran, wonach er eine Welt zu verstehen suche, „in der die Menschen überzeugt sind, sie wollten etwas ganz Bestimmtes, um dann, wenn sie es erreicht haben, zu ihrer Bestürzung festzustellen, dass dieser Wunsch keineswegs so groß war, wie sie angenommen hatten, oder dass sie das Gewünschte gar nicht wirklich haben wollen und dass sie, ohne es vorher gewusst zu haben, eigentlich etwas völlig anderes wollen.“

Sind das nicht herrliche Worte, um sich auf Weihnachten einzulassen, ganz leicht und nicht bedeutungsschwer? Wo man doch selbst nur unzuverlässige Wünsche zu bieten hat.

QOSHE - Trau deinen Wünschen nicht! - Christian Geyer
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Trau deinen Wünschen nicht!

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22.12.2023

Unter den geflügelten Worten, die Konrad Adenauer hinterließ, ist auch dieses: „Wünschen kann man vieles!“. Der Spruch hat das Zeug, einen anthropologischen Kosmos der Wunschgetriebenheit zu beschreiben, so er nicht nur als politische Stillstand-Formel eingesetzt wird nach dem Motto: Seid zufrieden mit dem, was ihr habt! Sinister und mit lang gezogenem i vorgetragen (viiieles), liest sich Adenauers Bemerkung als Warnung, nicht das Wünschbare mit dem Machbaren zu verwechseln, ein Vorschlag zur Güte, wenn man so will, bei der Formulierung von Utopien nicht den Halt zu verlieren, also nicht besoffen zu werden bei der Vorstellung, was völlig losgelöst mir alles möglich wäre, sondern das Mögliche auf seinen........

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