Der letzte Auftritt hielt der deutschen Mannschaft noch einmal den Spiegel vor. Nicht in dem Sinne, dass er sinnbildlich für das ganze Turnier stand. Aber er ließ erkennen, warum es am Ende nicht für mehr gereicht hat – nicht reichen konnte. Dafür, und das lässt sich am Verlauf des 31:34 gegen Schweden noch einmal in allen Facetten ablesen, war die Abhängigkeit von Juri Knorr zu groß.

Zu Beginn des Spiels ging beim deutschen Regisseur alles schief, als er nach längerer Ruhe- und Bedenkzeit zur zweiten Hälfte wiederkam, war er es, der die Deutschen noch einmal in die Reichweite einer Medaille führte. Aber am Ende hätte es, auch wenn der junge Renars Uscins weiter mutig warf, noch jemand anderen gebraucht, der ihm die Last von den Schultern nimmt.

Welche Last das ist und wie schwer er bisweilen daran trägt – das war kein Geheimnis. Knorr hat selbst erstaunlich offen darüber gesprochen, wie er auch mit sich selbst ringen muss, um seine Mitte zu finden, nicht zu überdrehen. Knorr ist 23 Jahre alt und in der deutschen Mannschaft der Spieler für das Besondere, er sieht und kann Dinge, zu denen kein anderer fähig ist.

Als er beim 35:28 gegen Ungarn in der Hauptrunde ein für seine Verhältnisse unauffälliges, aber funktional wertvolles Spiel gemacht hatte, sagte er, dass er darauf „stolz“ sei. Mit anderen Worten: Sein Sieg bestand auch daran, sich selbst ausgebremst zu haben. Allerdings bestand darin, auf andere Art, auch seine größte Niederlage: Als er im Halbfinale gegen Dänemark freiwillig das Feld räumte, und es danach auch nicht den Eindruck machte, als wolle er noch einmal zurück. Es war der Moment, in dem Knorr mental ausgebremst wirkte – und mit ihm die Deutschen auf dem Feld.

Die Abhängigkeit ist nicht nur ein Problem für die Mannschaft, sie ist auch eines für Knorr selbst. Das zeigte sich an dessen Mea Culpa in der Mixed Zone nach dem Halbfinale, eine Selbstanklage, die so schonungslos war, dass das Zuhören wehtat. Weil klar war, dass Knorr sich damit auch schadete – man frage nach bei Joshua Kimmich, für den es aus dem „Loch“, in das er nach dem Aus bei der Fußball-WM zu fallen fürchtete, medial lange kein Entkommen gab. Auch wenn es eine bittere Wahrheit ist: Wer sich im Gladiatorensport verletzlich zeigt, macht sich angreifbar.

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Und so lautet die rückwärtsgewandte Frage dieses Turniers nicht nur, ob Alfred Gislason mehr hätte unternehmen müssen, um seinen Spielmacher zu entlasten – manches spricht dafür, aber er sah die jüngeren Spieler noch nicht so weit. Sondern auch, ob Knorr genug Schutz bekommen hat, nicht zuletzt, als die Altvorderen um Pascal Hens ihm Handball-Harakiri attestierten. Knorr ist jemand, dessen Stil auf Spaß basiert, er muss mit Lockerheit und auch einem gewissen Risiko spielen dürfen, um die beste Version seiner selbst zu sein. Das ist im Sport generell, aber insbesondere im Handball, wo Fehler oft so gnadenlos bestraft werden, ein schmaler Grat.

Nach vorne gerichtet bedeutet das: Ob für die Deutschen mehr möglich sein wird bei den nächsten Turnieren, hängt nicht zuletzt davon ab, wie Knorrs Rolle definiert sein wird: vom Bundestrainer, aber auch von ihm selbst. Bei der EM wirkte er mitunter wie ein trauriger Timm Thaler, der sein Lächeln an die Handballbarone verloren hat, dabei war er der drittbeste Scorer des Turniers. Was nach Widerspruch klingt, ist in Wahrheit das Potential.

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29.01.2024

Der letzte Auftritt hielt der deutschen Mannschaft noch einmal den Spiegel vor. Nicht in dem Sinne, dass er sinnbildlich für das ganze Turnier stand. Aber er ließ erkennen, warum es am Ende nicht für mehr gereicht hat – nicht reichen konnte. Dafür, und das lässt sich am Verlauf des 31:34 gegen Schweden noch einmal in allen Facetten ablesen, war die Abhängigkeit von Juri Knorr zu groß.

Zu Beginn des Spiels ging beim deutschen Regisseur alles schief, als er nach längerer Ruhe- und Bedenkzeit zur zweiten Hälfte wiederkam, war er es, der die Deutschen noch einmal in die Reichweite einer Medaille führte. Aber am Ende hätte es, auch wenn der junge Renars Uscins weiter mutig warf, noch jemand anderen gebraucht, der ihm die Last von den Schultern nimmt.

Welche Last das ist und wie schwer er bisweilen daran trägt – das war kein Geheimnis. Knorr hat selbst erstaunlich offen darüber........

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