Es gibt die Geschichte, die Fred Vuich erzählt, der amerikanische Sportfotograf, der die richtige Perspektive fand, weil er sie an der falschen Stelle suchte. Er stand im April 2001 am sechzehnten Loch des Golfplatzes in Augusta, US-Bundesstaat Georgia, wo er während des Masters das erste Mal für „Sports Illustrated“, das berühmteste Sportmagazin des Landes, arbeitete und den berühmtesten Golfspieler der Welt fotografieren sollte: Tiger Woods.

Er schaute durch die Kamera auf Woods, weil der mit dem nächsten Schlag den vierten Majorsieg in Serie schaffen konnte. Doch der ging daneben. Und weil Vuich nun nicht mehr schnell genug am achtzehnten und letzten Loch ankommen würde, kletterte er auf einen kleinen Turm, wo er den Abschlag fotografieren konnte.

So entstand das tolle Foto – Woods, wie er mit dem Schläger ausholt, und Menschen, die ihn anstarren – , das auf dem Titel der „Sports Illustrated“ erschien mit dem einen Wort: „Masterpiece“. Doch da seit dieser Woche unsicher ist, ob und wie die amerikanische Ausgabe der „Sports Illustrated“ weiter erscheinen wird, wollen wir daran erinnern, warum dieses Sportmagazin einst so stilprägend war: weil denen, die dort arbeiteten, nicht nur wichtig war, was oder wen man darstellt, sondern wie man es darstellt.

Es gibt aber auch die Geschichte, die Al Tielemans erzählt, der amerikanische Sportfotograf, der eines der eindrucksvollsten Titelbilder in der Historie der „Sports Illustrated“ gemacht hat. Im August 2014 schaute er sich die Little League World Series an, das Finale der Base- und Softballmeisterschaften für Kinder, und fotografierte die 13-jährige Mo’ne Davis, die den Ball pitchte. Die Schlagzeile: „Mo’ne. Remember Her Name“. Merkt euch ihren Namen.

Man kann und sollte es wohl auch kritisch sehen, dass Kinder schon so früh in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit kommen. Doch Tielemans sorgte sich später um etwas anderes: um die inhaltlich-stilistische Entwicklung des Magazins. Am Anfang, sagt er, suchte dieses den wichtigsten Moment eines Spiels. Später den wichtigsten Spieler des Spiels. Noch später den berühmtesten Spieler des Spiels. Und irgendwann suchte es nur noch die berühmtesten Spieler.

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Die Kraft der Bilder

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29.01.2024

Es gibt die Geschichte, die Fred Vuich erzählt, der amerikanische Sportfotograf, der die richtige Perspektive fand, weil er sie an der falschen Stelle suchte. Er stand im April 2001 am sechzehnten Loch des Golfplatzes in Augusta, US-Bundesstaat Georgia, wo er während des Masters das erste Mal für „Sports Illustrated“, das berühmteste Sportmagazin des Landes, arbeitete und den berühmtesten Golfspieler der Welt fotografieren sollte: Tiger Woods.

Er schaute durch die Kamera auf Woods, weil der mit dem nächsten Schlag den vierten Majorsieg in Serie schaffen konnte. Doch der ging daneben. Und weil Vuich nun nicht mehr schnell genug am achtzehnten und letzten Loch ankommen würde, kletterte er........

© Frankfurter Allgemeine


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